Büroassistent:innen

Wie selbständig sind Büroassistentinnen?

Ich hatte einmal in einem Projekt die Aufgabe zusammenzustellen, über welche Kompetenzen Büroassistentinnen und Büroassistenten nach ihrer zweijährigen Ausbildung verfügen sollten. Ich hatte zwar eine vage Vorstellung davon, was Büroassistentinnen in ihrem beruflichen Alltag so tun, aber diese reichte nirgends hin, um meinem Auftrag gerecht zu werden. Also stellte ich eine Gruppe von Expertinnen und Experten zusammen, lauter Personen, die täglich mit Büroassistentinnen zusammenarbeiten.

An einer Stelle fragte ich meine Expert:innen, ob denn von einer Büroassistentin erwartet wird, dass sie selbständig Gespräche mit Kunden führt. Etwa die Hälfte der Expert:innen meinte, dass sie das selbstverständlich tun würde, die andere Hälfte hingegen bestritt das vehement und war der Ansicht, dass dies eine gewaltige Überforderung darstellt.

Ich bat darauf jede Fraktion, mir doch in Form einer Geschichte zu schildern, wie und wo sich Büroassistentinnen an Gesprächen mit Kunden beteiligen. Die „unselbständige“ Fraktion hatte die Situation in einem Telecom-Shop vor Augen, wo die Büroassistentinnen die Kunden am Eingang empfangen, sie nach ihrem Wunsch fragen und sie an eine erfahrene Beraterin weiterleiten. Gibt es gerade nichts anderes zu tun, können und sollen sie sich dann dort am entstehenden Gespräch beteiligen. Aber sie führen niemals selbständig ein solches Beratungsgespräch.

Die „selbständige“ Fraktion dachte hingegen an die Situation, wo die Büroassistenten am Telefon Anrufe von Kunden entgegennehmen, diese so weit möglich selbständig beantworten oder sie dann an eine geeignete Stelle weiterleiten.

Ich habe dieses Beispiel immer wieder in Kursen eingesetzt, um zu demonstrieren, dass man den Rat von Experten (hier „ja, sie führen selbständig Gespräche“ bzw. „nein, sie führen nie selbständig Gespräche“) auf Brauchbarkeit für die eigenen Zwecke nur einordnen kann, wenn man weiss, im Hinblick auf welchen Zweck sie ihre Meinung gebildet haben. Die eine Gruppe hier hat Büroassistentinnen im Kundenempfang in Telecom-Shops eingesetzt und begleitet, die andere in Kleinbetrieben am Telefon. Da die Ausbildung beide Einsätze abdecken muss, waren in diesem Fall die Meinungen beider Gruppen relevant. Wir einigten uns, dass Büroassistentinnen sicher keine eigentlichen Beratungsgespräche führen müssen, dass sie aber durchaus in der Lage sein sollten, kurze Auskunftsgespräche wie etwa zu den Öffnungszeiten zu bewältigen.

Im Gegensatz zu Fallbeispiel Corona Experte musste ich in dieser Situation handeln, ich konnte es nicht bei einem „Unentschieden“ bewenden lassen. Glücklicherweise war es möglich, die Widersprüche zwischen den beiden Expertengruppen (je etwa 5 Personen) aufzulösen, indem ich mit ihnen besprach, welche konkreten Einsatzsituationen sie bei ihren Behauptungen vor Augen hatten.

Nach meiner Erfahrung ist das, was ich hier erlebt habe, gar nicht so selten. Viele, auch hitzige Diskussionen entstehen nicht, weil die Diskutierenden alternative Denkwerkzeuge mit der gleichen Verwendung vertreten, sondern weil sie an unterschiedliche Verwendungen denken, ohne darüber zu sprechen. Entsprechend ist und bleibt der Rat zentral, bei der Beurteilung von Denkwerkzeugen immer sorgfältig zu klären, wozu sie dienen sollen.

[Expert:innen]