Verschleierte Interessen

Die Empfehlungen bis hier her könnte man so zusammenfassen: Im Zweifelsfall sollten wir den Expert:innen glauben. Vorausgesetzt ist natürlich, dass der Zweck, zu dem die Expert:innen ihr Denkwerkzeug einsetzen, mit unserem Interesse übereinstimmt.

Leider machen aber in den seltensten Fällen die Expert:innen explizit, zu welchem Zweck ihre Denkwerkzeuge entwickelt wurden und mit welchem Ziel sie sie einsetzen. Sie berichten nur vom Resultat ihres Einsatzes. Wie wir im Fallbeispiel Corona Informationen gesehen haben, ist nicht ganz klar, warum die Medien täglich die Anzahl Neuansteckungen publizierten. Wie die Überlegungen dort gezeigt haben, ist dieser Wert allein nicht besonders hilfreich, um die Gefährlichkeit der Lage abzuschätzen.

Manchmal verschleiern Denkwerkzeug-Gebraucher:innen ihre Ziele absichtlich. Bei den Tabakfirmen, die Studien in Auftrag gaben und publizierten, um auf die positiven Effekte des Rauchens hinzuweisen, war das Ziel nicht die Förderung der Gesundheit der Kunden, sondern die Förderung des Absatzes der Produkte. [1]

Hoch verarbeitete Lebensmittel

2017 haben vier Wissenschaftler einen Artikel zum Thema „Hoch verarbeitete Lebensmittel und menschliche Gesundheit“[2] publiziert (der Artikel ist auf Englisch geschrieben, was ich hier zitiere, habe ich selbst übersetzt). Sie halten dort fest „Soweit uns bekannt ist, wurden bisher keine Argumente vorgebracht, wie oder ob die Verarbeitung von Nahrungsmitteln ein gesundheitliches Risiko in Form schädlicher Einnahme von Nährstoffen oder in Form chemischer oder mikrobiologischer Gefährdung darstellt“.

Der Artikel wirkt sehr seriös, mit unzähligen Verweisen auf andere Berichte etc. Für mich als Nicht-Experten ist es unmöglich zu beurteilen, wie stichhaltig die Argumentation ist.

Googelt man dann aber den Hauptautor des Artikels, findet man, dass er unter anderem als wissenschaftlicher Berater von Nestlé und Cereal Partners Worldwide tätig ist. Beide Firmen verkaufen hoch verarbeitete Lebensmittel und haben selbstverständlich ein Interesse daran, dass diese als gesundheitlich unbedenklich gelten. Das wirft zumindest die Frage auf, mit welchem Ziel der Artikel geschrieben wurde. Wiederholt sich hier, was Jahre früher im Zusammenhang mit Zigaretten mit „wissenschaftlichen“ Verschleierungen versucht wurde?

Selbstverständlich könnte auch eine Studie einer Tabakfirma oder eines Nahrungsmittelkonzerns einmal ehrlich mit dem Ziel erarbeitet worden sein, das bei der Präsentation der Studie suggeriert wird. Aber es lohnt sich immer, wenn jemand für ein Denkwerkzeug Werbung macht, genau hinzusehen, für welche Interessen das Denkwerkzeug geschaffen wurde.

In der Wissenschaft hat es sich daher eingebürgert, dass bei jeder Studie angegeben wird, von wem diese finanziert wurde und wo die daran Beteiligten überall mitarbeiten und angestellt sind. Das erlaubt es etwas besser, die verfolgten Ziele abzuschätzen.

Angriffe auf Mobilfunkstrahlen-Experte

SRF berichtete am 20.4.2021, dass Martin Röösli, ein schweizerischer Professor für Umweltepidemiologie, immer wieder von Mobilfunkgegnern hart angegriffen wird.[3] Konkreter Anlass des Berichts ist ein Brief von 22 Forschenden ausserhalb der Schweiz an den schweizerischen Bundesrat. In diesem werfen sie Martin Röösli vor, die Gesundheitsrisiken des Mobilfunks, insbesondere der 5G-Technologie, falsch zu beurteilen. Sie fordern seinen Rücktritt aus allen wissenschaftlichen Kommissionen und Gremien. Ein bekannter schweizerischer Mobilfunkkritiker ergänzt dazu: „Was er betreibt, ist nicht unabhängige Wissenschaft, sondern gesponserte Wissenschaft. Transparenz ist bei ihm nicht gegeben.“

Martin Röösli selbst meint dazu, dass er sich vor 20 Jahren, durchaus hätte vorstellen können, dass man schädigende Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung findet. Damals begannen Millionen von Menschen, das Handy intensiv zu nutzen. Er wollte die Einflüsse daher genau untersuchen. Zwanzig Jahre und Dutzende Studien später ist er jedoch davon überzeugt, dass andere Einflüsse wie Feinstaub und Lärm viel mehr Schäden anrichten. Direkte Schädigungen durch elektromagnetische Strahlungen konnte er bisher keine feststellen. Laut einem anderen schweizerischen Experten für Elektromagnetische Felder beruhen diese Resultate alle auf sauberer Forschung.

Die Redaktion von SRF ist der Sache etwas nachgegangen und kommt zum Schluss, dass sich der erhobene Vorwurf von Intransparenz nicht erhärten lässt. Martin Röösli sass zwar zeitweilig im Stiftungsrat der Forschungsstiftung Strom- und Mobilfunkkommunikation, die von der Mobilfunkindustrie finanziert wird. Über die Verteilung der Gelder an die Forschungsprojekte entscheidet aber ein unabhängiger, wissenschaftlicher Ausschuss. Die Arbeit dieser bei der ETH angesiedelten Stiftung ist öffentlich einsehbar, also transparent.

Der Bericht von SRF fährt dann fort: „Wenig transparent sind hingegen einige prominente Mobilfunkgegner. Sie verschweigen, dass sie von der Angst vor der Mobilfunkstrahlung profitieren, indem sie diese finanziell zu ihren Gunsten zu nutzen wissen.“ Die beiden Initiatoren des Briefes an den Bundesrat „verkaufen via Internet technische Apparaturen, die Mobilfunkstrahlung entweder detektieren oder bekämpfen sollen. Die Funktionsweise dieser Geräte ist weder nachvollziehbar noch belegt. Trotzdem haben sie einen stolzen Preis: Sie kosten bis zu 1000 Franken pro Stück.“ Die beiden profitieren also massiv, wenn es ihnen gelingt, in der Bevölkerung Angst zu schüren.

Ich will mich mit dieser Fallstudie nicht zur Gefährlichkeit von Handy-Strahlungen äussern.[4] Interessant scheint mir daran aber, dass manchmal Kritik an verschleierten Interessen selbst die hinter der Kritik stehenden Interessen verschleiert.

Impfen und Autismus

Es gibt das Gerücht, dass die Masern-Mumps-Röteln-Impfung bei Kleinkindern zu Autismus führen kann. Dieses Gerücht führt dazu, dass manche Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen und ist mitverantwortlich dafür, dass es bisher nicht gelungen ist, die Masern auszurotten. Geht man der Sache nach, zeigt sich, dass das Gerücht auf einen Fachartikel eines Arztes namens Wakefield zurückzuführen ist.[5]

Der Artikel ist 1998 in der Zeitschrift Lancet erschienen, einer renommierten Zeitschrift für medizinische Forschung. Wakefield und seine Mitautoren behaupten dort, dass es zwischen der MMR-Impfung und dem Auftreten von Autismus einen Zusammenhang geben könnte. Das hat natürlich andere Forscher alarmiert, aber niemand konnte in entsprechenden Folgestudien diesen Zusammenhang bestätigen. Misstrauisch geworden, begann man Wakefields Studie genauer zu analysieren[6] und es zeigte sich, dass seine Daten zu einem guten Teil gefälscht waren. Die Zeitschrift Lancet zog dann 2010 den Artikel als „vollständig falsch“ zurück und bedauerte, dass sie auf die Täuschung hereingefallen war. Die britischen Behörden gingen noch weiter und untersagten Wakefield jede ärztliche Tätigkeit wegen massiven professionellen Fehlverhaltens.

Warum hat Wakefield diese gefälschte Untersuchung publiziert? Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass er – ohne dies offenzulegen – an der Entwicklung eines alternativen Impfstoffs beteiligt war. Er wollte vermutlich den etablierten Impfstoff schlecht machen, um dann die Alternative auf den Markt bringen zu können.

Es lohnt sich immer, genau abzuklären, zu welchem Zweck ein Denkwerkzeug entwickelt und gebraucht wurde, bevor man es übernimmt. Oft ist dabei etwas Detektivarbeit nötig.

Wird das Ziel absichtlich verschleiert, können wir das meist nur entdecken, wenn wir die Empfehlungen verschiedener Experten vergleichen.

Weiter lesen >> Unklare Interessen


[1] Oreskes, N., & Conway, E. M. (2014). Die Machiavellis der Wissenschaft: Das Netzwerk des Leugnens. Weinheim Wiley-VCH Verlag.

[2] https://academic.oup.com/ajcn/article/106/3/717/4822399

[3] https://www.srf.ch/wissen/mensch/debatte-ueber-5g-schweizer-mobilfunk-experte-unter-beschuss

[4] Der Bericht von SRF meint dazu: „Viele Menschen sagen, sie könnten Mobilfunkstrahlung wahrnehmen. Das lässt sich überprüfen, indem man die Menschen einer Strahlenquelle aussetzt und diese mal ein- und dann wieder ausschaltet. Weder die untersuchte Person, noch die untersuchende Person darf allerdings wissen, was Sache ist. In solchen Doppelblindstudien liess sich nicht nachweisen, dass Mobilfunkstrahlung spürbar ist.“ Mehr dazu: https://ehjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12940-019-0519-x%20

[5] Ashley, S. (2020). News Literacy and Democracy (Kindle-Version): Taylor and Francis. S. 193

[6] https://www.bmj.com/content/342/bmj.c7452