Neugierde

Vielleicht klingt das, was ich bisher gesagt habe, etwas freudlos. Und wenn der Einsatz eines Denkwerkzeugs mit hohen Kosten verbunden ist oder für uns oder andere gravierende Konsequenzen hat, ist auch eine gewisse Ernsthaftigkeit bei der Wahl angesagt.

Aber es ist nicht immer so wichtig, dass wir mit dem absolut besten Denkwerkzeug arbeiten. Wie die Eingangsbeispiele (Impfgegner und Wiedergeburt) illustrieren, kann die Frage, ob man etwas glauben soll, mehr oder weniger dringlich sein.[1] Zumindest für mich als Vater war es absolut entscheidend, in der Impffrage eine gut begründete Meinung zu haben. Bezüglich Wiedergeburten hingegen verspüre ich keinen Druck, mich dafür oder dagegen zu entscheiden. Diese Bewertung ist selbstverständlich meine persönliche. Vielleicht ist ihnen das Thema Wiedergeburt sehr wichtig und sie würden hier gern über das bestmögliche Denkwerkzeug verfügen.

Wenn uns eine Frage nicht so wichtig ist und die Konsequenzen eines Fehlschlags nicht weiter schlimm sind, dann können wir selbstverständlich auch einmal spielerisch ein Werkzeug ausprobieren. Schliesslich spricht auch nichts dagegen, einmal einen Nagel mit einer Beisszange einzuschlagen, wenn wir probieren wollen, wie sich das anfühlt, und es gleichgültig ist, wenn das Resultat nicht perfekt ausfällt. Wir sollten uns dabei nur bewusst sein, dass das schiefgehen kann. Und für ernste Fälle macht es Sinn, ein Denkwerkzeug in Reserve bereitzuhalten, das allgemein als verlässlich gilt.

Popper oder Pragmatismus

Im Studium wurde uns Karl Poppers Kritischer Rationalismus [2] als verlässliches Denkwerkzeug beigebracht, um unsere eigene wissenschaftliche Arbeit zu steuern. Wir lernten, dass unsere Aufgabe als Forscher hauptsächlich darin bestehen sollte, Annahmen und Behauptungen zu widerlegen. Das fand ich weder besonders einleuchtend noch besonders motivierend. Ich begann mich nebenbei noch für andere Denkwerkzeuge zu interessieren, u.a. für die diesem Buch zugrunde liegenden Ansätze des Pragmatismus. Im Ernstfall, d.h. in Prüfungen, die ich unbedingt bestehen wollte, habe ich dann aber jedes Mal auf Poppers Ideen zurückgegriffen.

Für mich persönlich hat es sich in diesem Fall gelohnt, meiner Neugierde nachzugehen. Denn mit der Zeit tauchten überall immer mehr Zweifel am Kritischen Rationalismus auf und ich war froh um eine Alternative.

Auch wenn man aktuell über befriedigende Denkwerkzeuge verfügt, lohnt es sich, sich auch mit Alternativen auseinanderzusetzen, denn vielleicht werden diese plötzlich wichtig.

Ein eher spielerischer Zugang wäre vielleicht eine Möglichkeit, wie Sie mit den in diesem Buch vorgeschlagenen Denkwerkzeugen umgehen könnten. Probieren Sie sie einmal in einer Situation aus, in der nicht viel auf dem Spiel steht, wenn etwas schiefgeht. Das könnte sein, wenn Sie irgendwo etwas Interessantes lesen, bei dem nicht viel davon abhängt, ob Sie es nun wirklich glauben oder nicht. Mir ist bspw. vor kurzem die Schlagzeile begegnet: „Brexit bremst die britische Wirtschaft mehr aus als vor dem Austritt angenommen“[3]. Ob ich das glauben soll?

Weiter lesen >> Konsistenz


[1] „Menschen unterscheiden ständig zwischen Informationen, die ihren Handlungsraum betreffen, und all dem, was man zwar auch wissen kann, aber nicht unbedingt wissen muss. Im ersten Fall müssen wir Irrtümer, Fehlschlüsse und Falschinformationen vermeiden, im zweiten erscheint uns die Frage nach der Wahrheit nicht existenziell oder doch zumindest nicht dringlich.“ ( Stangneth, Bettina (2016) Lügen lesen. Rowohlt, S.78)

[2] Popper, Karl (1935) Logik der Forschung.

[3] https://www.srf.ch/news/international/zwei-jahre-brexit-ein-boeses-erwachen-fuer-grossbritannien