Der beschleunigte Technologiewandel als didaktische Herausforderung in der Berufsbildung

pdf  Hansruedi Kaiser, Martin Vonlanthen, André Zbinden; EHB

Sowohl die Arbeitswelt wie auch das private Umfeld der Lernenden in der Berufsbildung werden durch eine zunehmende Digitalisierung geprägt und verändert. Dies stellt alle Lehrpersonen in der Berufsbildung vor neue Herausforderungen. Die folgenden Überlegungen widmen sich der Frage, wie diese Herausforderungen im Unterricht konstruktiv und produktiv aufgenommen werden können. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Situation der Lehrpersonen im berufskundlichen Unterricht der beruflichen Grundbildung. Damit kontrastiert werden dann der allgemeinbildenden Unterricht und die höhere Berufsbildung. Explizit nicht eingegangen wird auf die Frage, welche didaktischen Konsequenzen sich aus der Nutzung digitaler Technologien im Unterricht ergeben.

1    Berufskundlicher Unterricht in der beruflichen Grundbildung

1.1 Der Wissensvorsprung der Lehrpersonen schmilzt

Die Auswirkungen der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt sind vielfältig. Sie reichen von neuen elektronischen Werkzeugen bis hin zu neunen Geschäftsmodellen. Je nach Beruf ergeben sich daraus neue Inhalt, die unbedingt im Unterricht berücksichtigt werden müssen. Die Frage ist, auf welchem Weg diese Inhalte dort zum Thema werden.

„Traditionell“ gelangen neue Inhalte über die Aktualisierung der Bildungspläne in die Berufsfachschulen. In der Folge entstehen neue oder veränderte Lehrmittel. Für diese werden wiederum die Lehrpersonen geschult. Auf diesem Weg, dessen Abschreiten im günstigsten Fall fünf Jahre dauert,  war es schon immer nicht ganz einfach, Lehrpersonen zeitgerecht auf neu bedeutsam werdende Themen vorzubereiten. Durch die stetige Beschleunigung des Auftretens neuer Technologien ist dies ab einem bestimmten Zeitpunkt praktisch unmöglich geworden.

Ein typisches Beispiel dafür ist die Einführung des ersten Smartphones von Apple im Jahre 2007. In jenem Moment wäre es unmöglich gewesen vorherzusagen, dass bereits wenige Jahre später die ganze Welt ihr Telefon nutzen wird, um Fotos zu machen, und dass daher bei der Schulung von Detailhandelsangestellten, welche Smartphones verkaufen, die Beratung bezüglich der Wahl der Kamera vermutlich wichtiger ist, als die Beratung bezüglich der eigentlichen Telefonfunktionen.

Wie aktuelle Studien zeigen, hängt zudem die Art, wie einzelne Betriebe Neuerung einsetzen, und damit welche Auswirkungen das auf die geforderten Kompetenzen hat, stark vom Betriebsmodell ab (Hirsch-Kreinsen & ten Hompel 2015; Pfeiffer et al. 2016). Entsprechend ist eine mittelfristige Prognose bezüglich des Einsatzes digitaler Technologie in Betrieben für Produktion, Logistik etc. kaum möglich.

Zu den Schwierigkeiten einer mittelfristigen Prognose gesellen sich weitere Schwierigkeiten, wenn man versucht, neue Themen proaktiv in die Schulen einzubringen – wie im Zusammenhang mit dem Versuch, Themen zum nachhaltigen Wirtschaften („Cleantech“) in der Berufsbildung zu verankern, gut dokumentiert wurde (Heinimann et al. 2012).

Dass Neuerungen ohne ausreichende Vorlaufzeit zum Thema werden, ist für den Lernort Betrieb nicht wirklich ein Problem. Wenn sich die Arbeitsprozesse ändern, wenn neue Werkzeuge dazukommen, dann werden die Lernenden ohne Zeitverzögerung entsprechend geschult, denn schliesslich sind die Betriebe daran interessiert, einsetzbare Mitarbeitende zu gewinnen. Dem Lernort Schule hingegen bleibt keine Zeit mehr, sich und v.a. die Lehrpersonen in der gewohnten Form darauf vorzubereiten. Der traditionelle Wissensvorsprung der Lehrperson gegenüber den Lernenden schmilzt bzw. kehrt sich sogar um, indem die Lernenden im Betrieb früher mit Neuerungen konfrontiert werden als die Lehrpersonen. Schon länger davon betroffen sind die Autoberufe. Lanciert bspw. ein Autohersteller ein neues Modell und kann ein Lernender mit anderen Mitarbeitenden im Betrieb an der herstellerseitigen Schulung zu den Spezifitäten dieses Modells teilnehmen, erwirbt der Lernende Wissen und Kompetenzen, die sich seine Lehrperson nur in Ausnahmefällen im gleichen Tempo aneignen kann. Weiter ist bekannt, dass die HF-Studierenden im Bereich der Rettungssanität die Dozierenden oft mit neuen Geräten aus ihren Betrieben konfrontieren, die für die Dozierenden unbekannt sind.

Solange der schnelle technologische Wandel anhält, kann die Konsequenz daher nur sein, dass neue Themen nicht mehr über den traditionellen Weg in die Schule gelangen, sondern – via die Lernenden – direkt über die Betriebe. Beim Beispiel aus der Autobranche etwa spricht nichts dagegen, dass die Lehrperson dem entsprechenden Lernenden die Gelegenheit gibt, an die Klasse weiterzugeben, was er im Kurs beim Autohersteller erfahren hat. Wenn die Lehrperson dies didaktisch sinnvoll begleitet, kann das für alle Beteiligten eine gewinnbringende Lernerfahrung sein.

1.2 Eine neue Rolle für die Lehrperson

Der „schmelzende“ Wissensvorsprung, respektive das umgekehrte Wissensgefälle zwischen Lernenden und Lehrpersonen, erfordert eine Anpassung bei der Rolle der Lehrperson. Die Forderung, dass Lehrpersonen ihre traditionelle Rolle als Informationsquelle verlassen und bspw. zu Lerncoaches werden, ist allerdings nicht neu.

Doch auch die Rolle eines Lerncoaches impliziert einen (fachlichen) Wissensvorsprung der Lehrpersonen. Verschwindet dieser fachliche Wissensvorsprung, werden Lehrpersonen selbst zu Lernenden und lernen mit ihnen gemeinsam. Ihr Vorsprung und ihre Berechtigung, in das Geschehen leitend einzugreifen, bestehen dann vor allem darin, dass sie als Lernende mehr Erfahrung haben. Somit können sie den Lernenden ein Modell bieten – und erhalten dadurch die neue Rolle des oder der „Modell-Lernenden“.

Diese neue Rolle als „Modell-Lernende“ stellt zwei zentrale Anforderungen an die Lehrpersonen: Erstens müssen sie ihre Haltung gegenüber dem Geschehen im Unterricht ändern und bereit sein, den Anspruch auf den fachlichen Wissensvorsprung aufzugeben. Und zweitens müssen sie ihr eigenes Lernen und ihre Lernbiographie reflektieren.

1.3 Ein einfaches Beispiel zur Illustration

[ Das Beispiel stammt von einem Kursteilnehmer an einem Kurs zum Thema „Didaktik des Fachrechnens“ an der PHZH]

Schreiner, die an einer Einbauküche arbeiten, haben folgendes Problem: Ist die Ecke, in die die Küche eingepasst werden soll, perfekt rechtwinklig, lassen sich vorgefertigte Standardprodukte sauber einfügen. Weicht der Winkel aber auch nur wenig von neunzig Grad ab, sind Anpassungen notwendig. Schreiner kommen deshalb ab und zu in die Lage, überprüfen zu müssen, ob zwei Mauern rechtwinklig aufeinander treffen.

Der traditionelle Wissensvorsprung der Lehrperson besteht darin, dass sie zu diesem Zweck den Satz des Phytagoras einsetzen kann. Bildet man in der entsprechenden Ecke am Boden ein Dreieck, von dem zwei Seiten mit den beiden aufeinandertreffenden Mauern zusammenfallen, kann man zwei Seiten messen und dann ableiten, wie lange die dritte sein müsste, wenn es sich um ein rechtwinkliges Dreieck handelt. Das Dreieck ist tatsächlich rechtwinklig, wenn die gemessene Länge der dritten Seite mit der errechneten übereinstimmt.

Dieser Bedeutung dieses Wissensvorsprungs verflüchtigt sich, wenn die Lernenden auf ihren Smartphones plötzlich eine App mitbringen, welche das Problem graphisch löst. Auf dem Bildschirm ist ein typisches rechtwinkliges Dreieck zu sehen. Man legt das Smartphone so vor sich hin, dass der rechte Winkel in die zu untersuchende Ecke zeigt. Dann misst und markiert man an den beiden Wänden zwei beliebige Längen ausgehend von der Ecke und trägt die Werte auf dem Bildschirm des Smartphones an der entsprechenden Stelle ein. Die Länge der dritten Seite wird automatisch angezeigt und kann überprüft werden.

Beharrt die Lehrperson nicht darauf, dass sie die Person mit dem Wissensvorsprung ist und dass jetzt Phytagoras gelernt wird, weil der auf dem Lehrplan steht, sondern begibt sie sich die die neue Rolle des (Modell-)Lernenden, dann kann sie an in diesem Moment verschiedenes tun (Kaiser, in Vorbereitung):

  • Verständnissicherung: Die Lehrperson versucht die App selbst einzusetzen und lässt sich dabei von der Lernenden, welche die App mitgebracht hat, so lange helfen, bis sie sicher ist zu verstehen, wie das Ganze funktioniert. Sie ermuntert die anderen Lernenden dasselbe zu tun.
  • Fachliche Analyse: Sie Lehrperson fragt sich laut denkend und im Austausch mit den anderen Lernenden, nach welchen Prinzipien die App funktioniert. Hier kommt der vermutlich vorhandene fachliche, theoretische Wissensvorsprung der Lehrperson (Pythagoras) zum Tragen. Unter Umständen wird aber auch eine (gemeinsam) Recherche im Internet oder an anderen Orten nötig.
  • Erfahrungsbasierte Analyse: Die Lehrperson erinnert sich an Fälle aus ihrer beruflichen Praxis, bei der sie selbst einen rechten Winkel überprüft hat, und diskutiert mit den anderen Lernenden, ob die App in all diesen Fällen einsetzbar gewesen wäre. Sofern die anderen Lernenden auch über entsprechende Erfahrungen verfügen, können sie diese auch als Testfälle einbringen.
  • Klärung von Anwendungsproblemen: Die Lehrperson und die Lernenden fragen sich, ob sie nun in der Lage wären, die App tatsächlich im beruflichen Alltag einzusetzen. Sie setzen sie dann versuchsweise ein und diskutieren ein paar Wochen später, die dabei gemachten Erfahrungen und die aufgetretenen Schwierigkeiten.

1.4 Ein technologisch fortgeschrittenes Beispiel

Wer in einem naturwissenschaftlichen Labor arbeitet kennt die Situationen bestens: ungenaue Experimentieranleitungen, sparsame, unvollständige resp. unleserliche Laborprotokolle, fehlende Materialien, usw. Die Digitalisierung eröffnet hier neue Möglichkeiten, Arbeitsprozesse besser zu steuern, zu koordinieren und damit Laborstandards zu erhöhen. Lernende die eine Ausbildung zur Laborantin, zum Laboranten in Angriff nehmen, werden vielleicht an ihren Arbeitsplätzen schon bald mit konkreten digitalen Instrumenten in Kontakt kommen, die bei dieser Aufgabe helfen können. Ein Szenario könnte in etwa so aussehen:

Will eine Laborantin ein Experiment durchführen, vergewissert sie sich zuerst mit ihrem Tablet, ob alle Materialien vorhanden sind. Leerbestände sollte es eigentlich keine mehr geben, die digitale Schnittstelle des Materiallagers macht die Mitarbeiterin automatisch aufmerksam, wenn Chemikalien nachbestellt werden müssen und Labormaterialien fehlen.

Nun kann sie starten: Sie speist die Versuchsanleitung in ihre Labor-Daten-Schutzbrille und lässt sich die Anleitung von ihrem digitalen Assistenten vorlesen. Sie besorgt sich zuerst die einzelnen Materialien am richtigen Ort und quittiert durch Einlesen der QR-Codes den Gebrauch. Damit wird allen Labormitarbeitenden klar, wo sich welche Materialien zurzeit im Einsatz befinden. Das mühsame, detektivische Zusammensuchen entfällt.

Die Datenbrille spielt nun Schritt für Schritt den Versuchsablauf ein. Die Laborantin kann den Ablauf jederzeit unterbrechen und bei Unklarheiten nachfragen ohne den Ort zu verlassen. Fragen können via Messangerdienst direkt auch an Arbeitskolleginnen, Arbeitskollegen weitergeleitet und in einem Videochat diskutiert werden. Der digitale Assistent macht aufmerksam, wenn falsche Chemikalien in falschen Mengen oder falsche Materialien eingesetzt werden.

Schnittstellen in Messgeräten aber auch die Kamera in der Datenbrille übermitteln Messresultate kontinuierlich und automatisch an den digitalen Assistenten. Das Mühsame von Hand protokollieren von Messwerten entfällt. Dabei entsteht ein automatisiertes Laborprotokoll.

Auch in diesem Fall könnte es geschehen, dass eine Lernende früher mit diesen Möglichkeiten konfrontiert wird, als die Lehrperson. Wenn dann die Lehrperson im Unterricht erläutert, wie man sich traditionellerweise organisiert, damit man bei Experimenten nicht die Übersicht verliert, wird die Lernende sich vielleicht melden: „Aber dafür haben wir doch die Datenbrille“.

Sinnvollerweise stellt die Lehrperson in diesem Moment ihre Erfahrungen aus der vordigitalen Zeit hinten an und gibt der Lernenden eine Möglichkeit zu schildern, wie sie die Arbeit mit Hilfe des neuen Instruments erlebt. Dies lässt sich anreichern, indem die Lernende nach Möglichkeit digital entstandene Laborprotokolle mitbringt und diese mit vordigitalen Protokollen verglichen werden – wenn möglich aus Betrieben Lernender, die noch keinen Zugriff auf die neue Technologie haben.

Abgesehen von der Organisation dieses Austausches wird dabei die Hauptaufgabe der Lehrperson sein, auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen nachzufragen, wie denn die neue Technologie mit den Fragen umgeht, welche die Durchführung von Experimenten in der vordigitalen Welt aufwirft: Wie kann ein digitales Laborprotokoll Dokumentationssicherheit gewährleisten, so dass es von allen Mitarbeitenden gelesen und verstanden werden kann? Welche Standards gelten generell für Laborprotokolle, wie verändern sich diese durch den Einsatz von digitalen Assistenten? Etc. Die Diskussion dieser Punkte wird geleichzeitig jenen Lernenden helfen, welche noch nicht auf die neue Technologie zugreifen können. Sie ermöglicht es ihnen die Funktion der „alten“ Vorgehensregeln zu verstehen, so dass sie diese in ihren Betrieben situationsgerecht einsetzen können.

1.5 Anforderung an die Bildungspläne

Damit ein flexibles Eingehen der Lehrpersonen auf neue Entwicklungen möglich ist, müssen allerdings auch die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Bildungspläne, welche den Berufsfachschulen zu engmaschige Ziele setzen, können zum Problem werden, wenn sie Lehrpersonen zwingen, an Zielen zu arbeiten, die nicht mehr aktuell sind.

2    Allgemeinbildender Unterricht in der beruflichen Grundbildung

Ähnlich wie der berufskundliche Unterricht (BKU) kann der Allgemeinbildende Unterricht (ABU) Themen aufnehmen, welche die Lernenden in deren Alltag beschäftigen, und diese mit ihnen zusammen verarbeitet.

Allerdings unterscheidet sich die Situation im ABU in zwei entscheidenden Punkten von der Situation im BKU. Die Alltagswelt der Lernenden, aus der Themen für den ABU stammen können, ist weniger „professionell“ organisiert als die Berufswelt, die Themen für den BKU liefert. Die Lehrpersonen im BKU können in einem gewissen Ausmass darauf vertrauen, dass die Betriebe aus eigenem Interesse die (für sie) relevanten Themen setzen, und zwar schneller und effizienter als es die mehrjährigen Prozesse der formalen Bildungsentwicklung mit Bildungsplan, Lehrplan und Lehrmittel tun. Die Verantwortlichen für den Lehrplan ABU hingegen können nicht mit derselben Sicherheit darauf bauen, dass die Lernenden relevante Themen aus dem privaten Alltag einbringen werden. Sie müssen deshalb einerseits – als Ergänzung zu den Themen der Lernenden –Themen selbst setzen. Und andererseits können sie nicht damit rechnen, dass in allen Fällen schon gültige Antworten zu diesen Themen vorliegen.

2.1 Themen einbringen: Der Rahmenlehrplan

Um relevante Themen zu setzen genügt im Prinzip der vorhandene Rahmenlehrplan. Die dort vorgegebenen Bildungsziele bleiben auch im Zeitalter die Digitalisierung gültig, da sie unabhängig von Technologien formuliert sind. Bspw. ist das Ziel „Durch ihr Verständnis der politischen Institutionen und Akteure sind die Lernenden in der Lage, ihre Rechte auszuüben und an politischen Ereignissen teilzunehmen. Dadurch bekunden sie ihr Interesse am Leben der Gemeinschaft.“ (SBFI 2016, S. 16) unabhängig davon, ob nur Flugblätter oder neu auch elektronische Medien zur politischen Mobilisierung zur Verfügung stehen. Zudem ist der Rahmenlehrplan als echter Rahmenlehrplan offen genug gehalten, dass er etwa die Reaktion auf neue Medien durch die Lehrperson ohne formale Anpassung ermöglicht. Insbesondere die Leitgedanken und Ziele zum Aspekt „Technologie“ (SBFI 2016, S. 17) erscheinen vor dem Hintergrund der Digitalisierung als hochaktuell.

Im ABU bleibt also der grundsätzliche Auftrag der Lehrpersonen auch in Zeiten der Digitalisierung, den Rahmenlehrplan mit seinen beiden Lernbereichen umzusetzen. Und dafür bedarf es nach wie vor fachdidaktisch begründeter Entscheidungen beim Unterrichten. Die Palette möglicher Themen aus dem digitalisierten Alltag oder der digitalisierten Arbeitswelt, die dabei zur Sprache kommen können, ist breit.

Hier eine nicht besonders vollständige Liste mit Beispielen:

  1. Digitale Werkzeuge
  • Digitale Medien: Kritischer und reflektierter Medieneinsatz, Datensicherheit und Privacy, Selbstdarstellung und Kommunikation im Netz, neue „Textsorten“ wie SMS, Messengerdienste, Cybermobbing, Cyberbullying und Cyberstalking, Netiquette
  • Digitaler Werkzeuge (Apps): Online-Unterstützung bei Rechtsfragen durch Beratung, Vorlagen für Mails und Briefe, Verträge beim Kauf/Mieten, unverständliche AGBs vs. Absicherung durch die Meinung der Community, Kunst mit digitalen Werkzeugen
  • Was muss man noch selbst lernen und was kann man in Zukunft digitalen Werkzeugen überlassen (bspw. Kopfrechnen, Rechtschreibung, Fremdsprachen)?
  • Identitätsentwicklung als digital-elektronisch erweitertes Selbst
  1. Algorithmen
  • Interpretation statistischer und anderer Daten
  • Umgang mit Algorithmen (bspw. Programmen, welche Bewerbungen aussortieren;  Instrumenten, die die Kommunikation, Wählen/Abstimmen und Kaufentscheidungen erleichtern sollen)
  • Ausgeliefert sein gegenüber Algorithmen
  1. Autonome Algorithmen und Roboter
  • Künstliche Intelligenz: Gefahr oder Hype? Berufslaufbahnen planen in Zeiten, in denen das digital verursachte Ende der Berufe vorausgesagt wird
  • Gesellschaftliche Folgen und rechtliche Fragen im Zusammenhang mit autonomen Agenten: Beratung durch Roboter, Haftung von Robotern, Zusammenleben mit Robotern
  • Kommunikation mit Robotern und Programmen
  1. Simulationen
  • Individualisierte Budget-, Steuer- und Rentenberechnungen
  • Augmented- und Virtual-Reality-Anwendungen vor Kaufentscheidungen oder anstelle von persönlicher Mobilität
  • Was gehört zu meiner Realität und was ist mir daran wichtig?
  1. Produktions- und Geschäftsmodelle
  • E-Commerce
  • Industrie 4.0
  • Bitcoin statt CHF?
  • Kostenlose digitale Produkte und womit die Konsumierenden sie bezahlen
  • Leistungen von Unternehmen besteuern und von Volkswirtschaften messen, wenn immer mehr Produkte nichts mehr kosten
  • Neue Modelle der Selbstorganisation und Selbstvermarktung (Influencer, digitales Nomadentum usw.)
  1. Beschleunigte Entwicklung
  • Lebenslanges Lernen (s. Punkt 3 unten)
  1. Ausweitung der zu Verfügung stehenden Datenmengen
  • Kontrolle über die eigenen Daten
  • Persönliche Daten als Währung
  • Möglichkeiten und Grenzen von Big Data
  1. Gesellschaftlicher Diskussions- und Regulationsbedarf
  • Darstellung und Diskussion der Digitalisierung in den Medien etc.
  • Veränderung der Gesellschaft durch die Digitalisierung
  • (National)staatliche Kontrolle von im Internet ablaufenden Prozessen
  • Datenschutz, Zensur

Da die Lehrpersonen in derselben Gesellschaft leben wie die Lernenden, betreffen die allermeisten Themen die Lehrpersonen genauso. D.h. sie können und müssen die behandelten Themen auch auf sich selbst beziehen. Bspw. wird das Auftreten von Lehrpersonen in den elektronischen Medien und Foren genauso oder gar noch intensiver beobachtet als das ihrer Lernenden. Und auch beim Einsatz vieler elektronischer Werkzeuge stellen sich für die Lehrpersonen verschiedene Fragen genauso wie für die Lernenden – bspw. die Frage nach den Urheberechten von im Unterricht verwendeten Materialien aus dem Internet.

2.2 Fehlende Antworten: Gemeinsame Projekte

Bringen Lernende im BKU ein Thema aus dem Betrieb ein, kann die Lehrperson damit rechnen, dass diese auch gleich Antworten und Lösungen auf allfällige Fragen mitbringen. Im ABU dagegen ist dies nicht immer der Fall – egal ob das Thema von den Lernenden eingebracht wurde oder von der Lehrperson gesetzt wird.

Es könnte bspw. die Frage zur Sprache kommen, wie die Lernenden (und gegebenenfalls auch die Lehrperson) damit umgehen können, dass in Zukunft ein Computerprogramm, ein Algorithmus ihre Stellenbewerbungen sortieren und eventuell auch gleich aussortieren wird, ohne dass je ein Mensch einen Blick darauf geworfen hat. Auf diese Frage wird aktuell weder die Lehrperson noch irgendeine/einer der Lernenden eine erprobte Lösung dafür vorstellen können. [Unsere Leserinnen und Leser mögen uns bitte verzeihen, wenn dies in dem Moment, wo sie diesen Text lesen, nicht mehr gültig ist. Bitte setzen Sie dann einfach ein anderes Beispiel einer neuen, noch unerprobten Technologie ein.]

Das gemeinsame Lernen von Lehrperson und Lernenden nimmt dann den Charakter eines gemeinsamen Projektes an, an dessen Ende eine erste Antworten auf die aufgeworfene Frage stehen. Die Rolle der Lehrperson als Modell-Lernender verschiebt sich in diesem Moment etwas von der Rolle der Moderatorin des gemeinsamen Lernprozesses hin zur Rolle der Projektleiterin oder der Projektberaterin. Auch dabei sind weiterhin ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen gefragt, genauso wie bei den Lernenden, der anderen Projektteilnehmenden.

3    BKU & ABU: Aufbruch ins lebenslange Lernen

Die beschleunigte technologische Entwicklung hat nicht nur Auswirkungen auf den Unterricht, sondern auch auf den weiteren Lebenslauf der Lernenden. Was auch immer sie an Wissen erwerben – egal auf welcher Stufe der Berufsbildung – wird über kurz oder lang durch die technologische (und gesellschaftliche) Entwicklung in Frage gestellt. Sie müssen sich also im Sinne eines lebenslangen Lernens immer wieder auf neue Gegebenheiten einstellen.

Sowohl BKU wie ABU sollten daher daran arbeiten, die Lernenden auf den Umgang mit künftigen möglichen Veränderungen und neuen Anforderungen vorzubereiten. Dies könnte geschehen, indem sie Lernende mit Zukunftsvisionen konfrontieren, beispielsweise gemeinsam mit ihnen nach Anzeichen zukünftiger technologischer Entwicklungen suchen und diese diskutieren und interpretieren. Die ABU-Lehrperson und BKU-Lehrperson können dabei gegenseitig voneinander profitieren.

Allerdings sind Zukunftsprognosen unsicher und die Lernenden lassen sich auf diesem Weg nur beschränkt auf kommende Entwicklungen vorbereiten. Entscheidender ist deshalb, dass sie auf den Prozess des immer wieder Neu-Lernens vorbereitet werden. Wird der Unterricht, wie oben vorgeschlagen, zu einem gemeinsamen Lernprozess, modellhaft durch die Lehrperson vorgelebt, ist dadurch automatisch bereits eine gute Grundlage gelegt.

Zentral ist dabei die Reflexion der ablaufenden Lernprozesse (Kaiser, in Vorbereitung). Die Lernenden bauen dadurch sukzessive eine erweiterte Lernkompetenz auf.

Die Berufsfachschule ist allerdings nicht der einzige Ort, wo Lernende lernen und dieses Lernen reflektieren könnten. Den grösseren Teil ihrer Zeit verbringen sie im Betrieb und lernen dort neben Fachlichem auch, wie man sich in eine bisher unbekannte Arbeitswelt und Arbeitsgemeinschaft einlebt. Dieser Prozess wird sich später wiederholen, im Kleinen beim Wechsel in einen anderen Betrieb, im Grossen beim Wechseln des Berufes. Im Betrieb besteht kaum die Möglichkeit, diesen Prozess explizit zu reflektieren und somit die sich so ergebende Kompetenz auf ein solides Fundament zu stellen. Die Schule dagegen wäre der geeignete Ort dafür (Kaiser 2014). Allerdings müsste dazu ein tragfähiges Modell des Lernens im Betrieb und ein entsprechende Didaktik erst noch entwickelt werden. Ansätze dazu dürften sich aus dem Konzept der Community of Practice von Lave & Wenger ergeben (Lave & Wenger 1991).

4    Höhere Berufsbildung

In der höheren Berufsbildung dürfte sich das bereist für den ABU besprochene Problem der fehlenden Antworten verstärken. Es werden vermutlich immer häufiger Fragen zur Sprache kommen, auf die weder die Lehrpersonen/Dozierenden noch die Lernenden/Studierenden eine direkte Antwort haben. Erzählt heute bspw. in einem Ausbildungsgang Pflege HF eine Teilnehmende, dass bei ihnen im Heim neu ein Roboter herumsteht (und vielleicht auch geht), dann existieren momentan noch keine erprobten Rezepte für dessen Einsatz, welches die Dozierende oder eine der Studierenden einbringen könnte.

Die Antwort darauf ist dieselbe, wie die für den ABU vorgeschlagen: Der Unterricht wird zum gemeinsamen Projekt von Dozierenden und Studierenden. Dabei ist es natürlich sinnvoll, alle zugänglichen Quellen wie Fachliteratur, Experten etc. zu nutzen. Auf dieser Stufe dürften dabei die aufgeworfenen Fragen für beigezogene Experten aus Unternehmungen, Fachhochschulen oder Universitäten so direkt von Interesse sein, dass auch gemeinsame Projekte mit solchen Institutionen denkbar werden.

5    Erwähnte Literatur

Heinimann, E., Lachenmeier, P., & Stucki, R. (2012). Cleantech in den Bildungsgängen der beruflichen Grundbildung. Schlussbericht. Zollikofen: EHB

Hirsch-Kreinsen, H., & ten Hompel, M. (2015). Digitalisierung industrieller Arbeit: Entwicklungsperspektiven und Gestaltungsansätze. In B. Vogel-Heuser, T. Bauernhansl & M. ten Hompel (Eds.), Handbuch Industrie 4.0, 2. Auflage: Springer

Kaiser, H. (2014). Metakognition – Wo Nachdenken über das Denken besonders nützlich ist. In A. Lauterbach, E. Brinker-Meyendriesch, A. Fesenfeld, Grieshop, Gruber, Käser, I. Ludwig, Schlegel, R. Schwarz-Govaers & H. Spurek (Eds.), Evaluation, Metakognition und Assessment (pp. 29-35).

Kaiser, H. (in Vorbereitung). Situationsdidaktik. Bern: hep verlag.

Lave, J., & Wenger, E. (1991). Situated Learning. Legitimate peripheral participation. Cambridge: Cambridge University Press.

Pfeiffer, S., Lee, H., Zirnig, C., & Suphan, A. (2016). Industrie 4.0 – Qualifizierung 2025. Frankfurt a.M.: Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau

SBFI (2006) Berufliche Grundbildung: Rahmenlehrplan für den allgemeinbildenden Unterricht.

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