Unterrichtsrezepte

Den grössten Teil meines Berufslebens habe ich in der pädagogisch-didaktischen Forschung verbracht. Forschung in diesem Bereich verfolgt grob das Ziel, Denkwerkzeuge zu schaffen, um Unterricht wirksamer zu machen. Auf den ersten Blick könnte man dabei von einem technischen Interesse sprechen. Genauer betrachtet sind aber die Charakteristika des technischen Interesses nicht gegeben. Unter dem technischen Interesse werden normierte Situationen hergestellt, die durch entsprechend geschulte Personen beliebig herstellbar sind und für die bekannt ist, welche Reaktion eine bestimmte Aktion auslöst. Das ist bspw. für den Abschuss einer Kanonenkugel oder für das Schalten eines elektronischen Steuerelements machbar.

Man kann versuchen, Unterricht aus dieser Perspektive anzugehen und von den Lehrpersonen erwarten, dass sie normierte Situationen herstellen. Aber ihr „Material“ sind nicht Kanonenkugeln, sondern Menschen. Und diese entziehen sich jeder Normierung, sowohl einzeln als auch in der Gruppe. Lehrpersonen sind daher ständig mit Situationen konfrontiert, die zwar immer wieder gewisse Ähnlichkeiten haben, aber doch immer wieder so unterschiedlich sind, dass sie nach einer ganz spezifischen Reaktion verlangen. Lehrpersonen improvisieren ständig, was u.a. auch dazu führt, dass man sie nicht in dem Sinne schulen kann, wie man bspw. einem Kanonier das Einstellen des Abschusswinkels beibringen kann. Lehrpersonen werden das, was man ihnen in der Ausbildung oder in einer Weiterbildung mitgibt, nie genau so nutzen, wie es ihnen vermittelt wurde, sondern sie werden pädagogische Theorien und Rezepte höchstens als Grundlage für ihre Improvisationen verwenden. Denkwerkzeuge, die die pädagogische Forschung schafft, müssen also Improvisationen der Lehrpersonen derart unterstützen, dass die Lernenden qualitativ möglichst gut lernen – was auch immer darunter zu verstehen ist. Technische Regeln können dies nicht leisten.

Die Ziele pädagogisch-didaktischer Denkwerkzeuge decken sich aber auch nicht eins zu eins mit den Zielen des pragmatischen und/oder des emanzipatorischen Interesses. Natürlich müssen die Lehrpersonen in einem gewissen Sinn die Lernenden verstehen, damit sie mit ihnen interagieren können. Darüber hinaus brauchen sie aber auch Mittel, um die Lernenden sinnvoll anzuleiten. Und sicher kommt es vor, dass einzelne Lernende ihr Potenzial nicht abrufen können und so etwas wie eine „Therapie“ brauchen. Aber die Aufgabe der Lehrperson endet nicht hier. Ist der „Knopf“ bei den Lernenden einmal gelöst, brauchen diese immer noch Anleitung, wie sie jetzt, befreit von alten Ideen, lernen sollen.

Alles in allem scheint es mir daher gerechtfertigt, von einem „pädagogischen Interesse“ zusätzlich zu den drei von Habermas herausgearbeiteten zu sprechen (mehr dazu: Denkwerkzeuge für Unterrichtende).

[Verwendungszweck]