Bei der Wahl des für unsere Zwecke besten Werkzeugs kann das Bedürfnis, mit einer ganz bestimmten Gruppe von Personen kooperieren zu können, eine wichtige Rolle spielen. Ein anderes, nicht zu vernachlässigendes Kriterium sind die Kosten, welche mit der Verwendung eines Denkwerkzeugs einhergehen.
2016 ging die Schlagzeile durch die Presse: „Zahnseide nützt nichts“. Die Süddeutsche Zeitung schrieb etwa: „Die Zahnseide steht in der Kritik. Sie sei nutzlos, unnötig, lasse Zahnfleisch bluten, statt es zu beruhigen. … Der Nutzen der dünnen Fäden ist trotz zahlreicher Untersuchungen bislang wissenschaftlich nicht eindeutig belegt.“ Ein Vergleich mehrerer wissenschaftlicher Studien[1] von 2011 kam zum Schluss, dass es keine Belege dafür gibt, dass die Verwendung von Zahnseide die Entstehung von Karies reduziert. In der gleichen Studie wurde aber auch festgehalten, dass in einer Studie sich der Einsatz der Zahnseide positiv auf das Zahnfleisch ausgewirkt hat.
Das hat wohl bei einigen, die täglich Zahnseide einsetzen, zumindest zu einer kleinen Irritation geführt. So auch bei mir: Soll ich den ganzen Aufwand weiterhin betreiben?
Der Einsatz von Denkwerkzeugen hat seinen Nutzen, ist aber auch mit Kosten verbunden. Einmal ist da der Aufwand um ein neues Werkzeug zu evaluieren und sich zu eigen zu machen. Und dann ergeben sich Kosten aus dem Einsatz des Werkzeugs.
Als die Meldung zur Nutzlosigkeit der Zahnseide durch die Medien ging, habe ich nur ganz kurz gezögert, dann aber wie bisher weiter die Zähne damit gereinigt. Einerseits hätte ich relativ viel Aufwand betreiben müssen, um herauszufinden, wie verlässlich die negativen Berichte waren (mehr dazu im Teil C). Andererseits sagte ich mir „nützt es nichts, so schadet es doch auch nicht“, denn mit blutendem Zahnfleisch hatte ich keine Probleme und der kleine Aufwand, täglich kurz zur Zahnseide zu greifen, schien mir vernachlässigbar. Die Kosten um das neue Denkwerkzeug zu evaluieren wären gross gewesen. Die Einsparungen beim Verzicht auf Zahnseide hingegen relativ klein. Diese kurze Kosten-Nutzen-Abwägung überzeugte mich davon, dass es sich für mich in diesem Fall nicht lohnt, ernsthaft über einen Ersatz das Denkwerkzeugs „Zahnseide beseitigt schädliche Ablagerung“ nachzudenken.
Ähnlich könnte es den Eltern Meier gehen, die bisher mit dem Denkwerkzeug operiert haben: „Impfungen sind so nützlich, dass man sich und seine Kinder auf jeden Fall gegen alles impfen lässt“. Die Müllers bieten ihnen ein alternatives Denkwerkzeug an: „Das Durchleben einer Krankheit ist wichtig für die Entwicklung der Kinder. Man sollte daher nicht alle Krankheiten zu verhindern versuchen.“ Sollen die Meiers ihr Denkwerkzeug wechseln? Da stellt sich als erstes natürlich die Frage, wie es mit der Qualität dieses Werkzeugs steht? Führt es tatsächlich zu einer besseren Gesundheit der Kinder (physisch und psychisch)? Meiers müssten einigen Aufwand betreiben, um diese Frage zu klären (u.a.: Sind Müllers geeignete Expert:innen? Bestehen allenfalls verschleierte Interessen?). Und wenn sie auf einige Impfungen verzichten, müssen sie damit rechnen, dass ihre Kinder irgendwann eine Zeit lang krank im Bett liegen und sowohl von ihnen wie auch ärztlich betreut werden müssen. Das kann einen beträchtlichen Aufwand mit sich bringen, wogegen das Impfen billig und ohne grosse zeitliche Belastung zu haben ist. Sofern Meiers von der Idee, dass ihre Kinder ohne Kinderkrankheiten Entwicklungsstörungen zeigen könnten, nicht allzu sehr beunruhigt sind, macht es für sie daher Sinn, beim vertrauten Denkwerkzeug „Impfungen sind sehr nützlich“ zu bleiben.
Bei dem, was ich hier „Kosten“ des Einsatzes eines Denkwerkzeugs nenne, spielt selbstverständlich auch eine Rolle, wie gut dieses Werkzeug handhabbar ist. Ein Kind mit hohem Fieber und einem angeschwollenen Hals durch eine Mumpserkrankung zu begleiten ist nicht trivial und will gelernt sein. Als ich Kind war – vor langer, langer Zeit – haben Kinderärzte noch Hausbesuche gemacht und als ich mit Mumps im Bett lag (damals gab es noch keine Impfung), kam unser Arzt jeden Tag vorbei. Eine solche Unterstützung wäre heute undenkbar.
Die Frage der Handhabbarkeit würde sich wohl auch bei einer vollständig ausgearbeiteten Flach-Erde-Theorie stellen. Wie wir gesehen haben, dürfte die mit der Vorstellung einer Erde als Scheibe kompatible Physik sehr kompliziert werden (sieh dazu auch Distanzen auf der flachen Erde), sodass es sich fragt, ob man nicht lieber bei den paar wenigen Formeln von Newton bleibt.
Manchmal lohnt es sich, ein Denkwerkzeug zu benutzen, das zwar im Vergleich weniger perfekte Resultate liefert als andere, das dafür aber einfacher handhabbar ist.
Das geschieht auch in der Physik routinemässig immer wieder. Eigentlich hat Einstein mit seiner Relativitätstheorie Newtons Physik korrigiert[2]. Nur sind diese eher komplizierten Korrekturen bspw. am Billardtisch nicht wirklich relevant, so dass man dort gut mit dem einfacheren Newton arbeiten kann.
Zwei weitere Beispiele zum Thema „Kosten“:
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[1] „Flossing for the management of periodontal diseases and dental caries in adults”
[2] Siehe bspw. Bührke, T. (1999). E=mc2. Einführung in die Relativitätstheorie. München: DTV.