Entscheiden wir uns dafür, mit einem von vielleicht mehreren gleich nützlichen Denkwerkzeugen zu arbeiten, dann sind wir nicht mehr vollständig frei, was wir glauben wollen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Welt vor fünf Minuten gestartet wurde, dann können wir nicht gut sagen, dass es vor einer Woche geregnet hat. Wir können nur feststellen, dass wir und viele andere Menschen sich daran erinnern, dass es geregnet hat. Alles andere wäre nicht konsistent.
Die Vertreter und Vertreterinnen der Flach-Erde-Theorie verlangen, dass man das anerkennen soll, was offensichtlich ist, das, was man sieht. Konsistent damit wäre, auch zu anerkennen, dass die Sonne am Abend hinter dem Horizont verschwindet. Wie die kleine geometrische Überlegung zur Flach-Erde-Theorie gezeigt hat, lassen sich die Beobachtung „die Erde ist flach“ und die Beobachtung „die Sonne geht hinter dem Horizont unter“ aber nur vereinen, wenn man entsprechend veränderte physikalische Gesetzte annimmt. Die Flach-Erde-Theorie und die heute übliche Physik sind nicht konsistent.
Allerdings ist das mit der Konsistenz nicht ganz so einfach. Genauso wenig, wie es für Wahrheit rein logische Kriterien gibt, ist Konsistenz nicht aufgrund rein logischer Kriterien beurteilbar. Der berühmteste Fall für diese Problematik liefert auch hier die Physik mit der Quantentheorie. Bereits vor 1900 wurde intensiv mit Elektrizität experimentiert. Die Resultate mancher Experimente liessen sich dadurch erklären, dass dabei Teilchen wie kleine Golfbälle verschoben wurden. Diese Teilchen wurden Elektronen genannt. In anderen Experimenten liessen sich hingegen Phänomene beobachten, die mehr der Ausbreitung von Wellen, ähnlich Wasserwellen, glichen. „Logisch“ gesehen kann aber etwas nur entweder ein Teilchen oder eine Welle sein, aber nicht beides. Irgendetwas konnte nicht stimmen, denn eine konsistente Theorie der Elektrizität war so nicht zu erreichen.
Die Quantentheorie löste dann dieses Problem, indem sie annahm, dass hinter dem Beobachtbaren etwas liegt, dass sich zwar mit Hilfe einer mathematischen Formel beschreiben lässt, das wir uns aber nicht vorstellen können. Diese Etwas wurden Quanten genannt und diese Quanten benehmen sich je nach Experiment so, als ob sie Teilchen oder als ob sie Wellen wären. Die Quantentheorie ist ausserordentlich nützlich und erfolgreich, wenn es darum geht, bspw. Computerchips zu entwickeln. Sie ist täglich, dauernd und an vielen Orten als Denkwerkzeug im Einsatz. Und die, die damit arbeiten, haben sich daran gewöhnt, dass sie die „Inkonsistenz“ der beiden Vorstellungen „Teilchen“ und „Welle“ nicht auflösen können.
Die beiden widersprüchlichen Vorstellungen führen beim Einsatz der Quantentheorie nicht zu einem Problem, weil das mathematische Modell dahinter zwischen ihnen vermittelt. Es sagt uns, wann wir uns auf die eine und wann auf die andere Vorstellung verlassen können – und in welchen Momenten wir besser gleich auf beide verzichten. Und dies geschieht widerspruchsfrei, so dass ich als Quantenphysiker nie in die Situation komme, dass ich nicht weiss, wie ich eine bestimmte Absicht erreichen kann.
Das Beispiel Quantentheorie illustriert einmal mehr, dass Logik nur begrenzt hilfreich ist, um zu entscheiden, ob etwas sein kann oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob wir trotz allem das entsprechende Denkwerkzeug für unsere Zwecke gebrauchen können. Das gilt auch bspw. bei der Flach-Erde-Theorie. Will man die Flach-Erde-Theorie dazu benutzen, sich im Freien anhand des Sonnenstandes zu orientieren, dann passen sie und die konventionelle Physik nicht zusammen. Unter Anwendung der konventionellen Physik bei Annahme einer flachen Erde kommen wir u.a. zu falschen Voraussagen darüber, wo die Sonne um Mitternacht am Himmel stehen wird. Nutze ich die Flach-Erde-Theorie dagegen, um ein stabiles, lotrechtes Einfamilienhaus zu bauen, habe ich keine Probleme, sie mit der konventionellen Physik zu kombinieren.
Ob ein Denkwerkzeug in sich nicht konsistent ist, „logische“ Fehler enthält, können wir nur im Hinblick auf den Gebrauch für ein bestimmtes Ziel beurteilen.
Viele Personen, die an eine Wiedergeburt glauben, waren nach ihrer Meinung in einer früheren Inkarnation eine bedeutende Person, eine Prinzessin bspw. Will man das Denkwerkzeug Wiedergeburt dazu nutzen, tatsächlich frühere Inkarnationen als historische Personen aufzuspüren, sind diese Behauptungen sehr unglaubwürdig. So viele bedeutende Personen gab es in der Menschheitsgeschichte nicht, als dass alle heute lebenden Personen ein solches Vorleben hätten haben können. Wenn ich hingegen das Werkzeug Wiedergeburt vor allem nutze, um ein gutes Gefühl zu haben, dann könnte die Vorstellung, früher eine bedeutende Person gewesen zu sein, diesen Effekt noch verstärken.
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