Kopernikus und Galileos Problem

Newton war nicht der Erste, der annahm, dass sich die Erde um die Sonne bewegt. 1543 publizierte Nicolaus Kopernikus sein Werk „De Revolutionibus Orbium Coelestium“ (Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären). Damit konnte er folgendes ärgerliches Problem jedes Weltbildes lösen, bei der sich die Planeten um die Erde drehen[1]: Beobachtet man bspw. den Mars vor dem Hintergrund des Sternenhimmels, dann gibt es Zeiten im Jahr, wo er sich entgegen der üblichen Bewegungsrichtung rückwärts bewegt. Warum macht er das? Nimmt man an, dass sowohl Erde wie Mars um die Sonne kreisen, sind dies einfach die Momente, wo die schnellere Erde den langsameren Mars überholt und dieser darum zurückfällt.

Das war ein Erfolg. Aber abgesehen von diesem einen Punkt passte Kopernikus Weltmodell schlecht zu den damals bekannten Daten und wurde daher auch von führenden Wissenschaftlern mit grosser Skepsis aufgenommen. Es waren vor allem folgende Ungereimtheiten, die bemängelt wurden:[2]

Unerwartete Distanzen: Nur schon, wenn man abwechslungsweise das linke oder das rechte Auge schliesst, sieht die Welt etwas anders aus, da wir sie dann jeweils aus einem etwas anderen Winkel betrachten. Umso mehr müsste eine solche Verschiebung (Parallaxe) eintreten, wenn man dieselben Sterne am Abend oder am Morgen (nach einer halben Umdrehung der Erde um sich selbst) oder gar im Frühling oder im Herbst (nach einem halben Umlauf der Erde um die Sonne) betrachtet. Eine solche Verschiebung war aber in den Daten nicht zu erkennen. Kopernikus musste daher annehmen, dass die Sterne so unvorstellbar weit weg waren, dass die zu erwartenden Verschiebungen mit den damaligen Instrumenten nicht wahrnehmbar sind. Das waren die Astronomen seiner Zeit nicht bereit zu glauben. Erst 400 (!) Jahre später standen so stark verbesserte Fernrohre zur Verfügung, dass Friedrich Bessel 1838 eine Parallaxe nachweisen konnte. Allerdings ist diese Parallaxe so klein, dass die Sterne wirklich sehr weit weg sein müssen – aber daran haben wir uns gewöhnt.

Riesige Sterne: Durch ein Fernrohr betrachtet, sind die Sterne nicht Punkte, sondern kleine Scheiben. Wenn man annahm, dass die Sterne wirklich sehr weit waren, konnte man aus der Grösse dieser Scheiben Vermutungen darüber ableiten, wie gross dies Sterne mindestens sein müssten. Diese Abschätzungen ergaben einen Durchmesser einzelner Sterne so gross wie der Durchmesser der Umlaufbahn der Erde um die Sonne. Auch das war zu Zeiten Kopernikus niemand bereit zu glauben. Erst etwa 1840 konnte George Airy zeigen, dass die Sterne im Fernrohr zu gross erscheinen, da auch Licht von einer punktförmigen Lichtquelle beim Eintritt in eine Blende einen Lichtkreis produziert.

Fehlende Rotations-Effekte: Lässt man auf einem fahrenden Karussell einen Gegenstand fallen, fällt er nicht genau gerade nach unten. Wenn die Erde rotiert, sollte man einen ähnlichen Effekt beobachten können. Zu Kopernikus Zeiten war nichts Derartiges bekannt und konnte auch nicht nachgewiesen werden. Auch hier erfolgt der Nachweis erst 400 Jahre später durch Ferdinand Reich.

Kopernikus selbst waren alle diese Probleme und Einwände bekannt. Um seine Theorie zu retten, berief er sich auf Gott, denn die göttliche Weisheit und Majestät sei viel grösser, als seine Kritiker das je verstehen würden.

Tycho Brahe, der führende Astronom jener Zeit, der über die besten Beobachtungsdaten verfügte, versuchte den positiven Effekt des Modells von Kopernikus zu retten, indem er 1588 eine eigene Variante publizierte. Bei diesem Modell kreisen die Sonne, der Mond und die Sterne um die ruhende Erde. Dadurch gibt es keine Probleme mit Rotationseffekten und keine Schwierigkeiten mit Distanz und Grösse der Sterne. Die anderen Planeten hingegen liess Brahe um die Sonne kreisen und konnte so die Rückwärtsbewegung des Mars erklären. Brahes Modell war lange schlicht das Modell, das am besten zu den Daten passte, wie beispielsweise Battista Riccioli um 1650 in einem sorgfältig geschrieben Übersichtsartikel festhielt.

Die Vorstellung, dass die Erde um die Sonne kreiste, war also genau genommen noch während gut 400 (!) Jahren nach Kopernikus nicht mit den bekannten Daten vereinbar. Aber das heuristische Potenzial, die Möglichkeiten, die sich dadurch eröffneten, waren so gross, dass sich nach und nach alle Wissenschaftler dieser Vorstellung anschlossen. Wie gesagt ermöglichte es unter anderem Newton eine Physik zu entwerfen, welche die Bewegungen der Gegenstände auf der Erde wie am Himmel gleich behandeln konnte.


[1] Koestler, A. (1959). Die Nachtwandler. Das Bild des Universums im Wandel der Zeit. Bern: Scherz.

[2] Dannielson, D., & Graney, C. M. (2014). The case against Copernicus. Scientific American, 301(1), 62-67.