Wissenschaftler:innen

Wissenschaftler:innen sind Expert:innen. Jede und jeder von ihnen hat intensiv und über längere Zeit mindestens mit einem Denkwerkzeug gearbeitet und so Anwendungserfahrung gesammelt. Entsprechend können sie zuverlässig über diese Denkwerkzeuge Auskunft geben, sind dafür die Expert:innen par excellence.

Dies gilt allerdings nur mit ein paar Einschränkungen:

  • Wie mehrfach erwähnt, werden in der Wissenschaft die Ziele, für die bestimmte Denkwerkzeuge genutzt werden, oft nicht reflektiert (… wie bei Kaffeemaschinen-Experten, die einfach ihre Lieblingsmaschine empfehlen, ohne sich Gedanken über den geplanten Einsatz zu machen). Entsprechend ist es leider oft nötig, dass man sich bei Verlautbarungen von Wissenschaftler:innen zuerst einmal Gedanken über ihre nicht erwähnten Ziele macht. Bspw. wäre es beim Fallbeispiel zu den abstrakten Mathematikaufgaben interessant herauszufinden, warum die beteiligten Forschenden unbedingt beweisen wollen, dass Mathematik abstrakt gelernt werden muss. Ihr Bedürfnis, das nachzuweisen, ist offenbar so gross, dass sie übersehen, was in ihrem Experiment tatsächlich geschieht. Und auch den Herausgeber:innen der äusserst renommierten Zeitschrift Science ist das nicht aufgefallen. Warum?
  • Wissenschaftler:innen, die sich einen Namen gemacht haben, werden von den Medien oft auch zu Themen befragt, zu denen sie wenig oder keine Erfahrungen haben, und einige geben dann auch bereitwillig Auskunft (… wie Kaffeemaschinen-Experten, die sich mit viel Selbstvertrauen zur Qualität von Geschirrspülern äusseren). Wichtig ist daher, dass man abklärt, ob bestimmte ihrer Aussagen durch ihre Erfahrungsbasis abgedeckt sind.
  • Wie wir gesehen haben, sind nicht alle Wissenschaftler:innen ehrlich bezüglich der Interessen, die sie mit den von ihnen positiv bewerteten Denkwerkzeugen verfolgen (… wie Kaffeemaschinen-Experten, die eine Maschine nicht empfehlen, weil sie sie gut finden, sondern weil die Herstellerfirma sie dafür bezahlt). Wenn grosse finanzielle Interessen auf dem Spiel stehen, ist daher Vorsicht geboten.
  • Die Denkwerkzeuge der Wissenschaftler:innen sind oft sehr spezialisiert und nur nach langer Einarbeitungszeit nutzbar. Wenn Wissenschaftler:innen versuchen, diese Werkzeuge aus dem Moment heraus für Laien zu vereinfachen (bspw. in einem Interview), ist das Resultat oft nicht sehr brauchbar (… wie der Kaffeemaschinen-Experte, der erklärt, dass die Maschine nur zwei Schalter hat und daher ganz einfach zu bedienen ist, und dabei ausblendet, dass erst seine lange Erfahrung als Barista es ihm ermöglicht, mit diesen zwei Schaltern wahre Wunder zu vollbringen). Daher ist es oft sinnvoller, Wissenschaftler:innen nach dem Produkt ihrer Ãœberlegungen zu fragen (… den Barista um einen Kaffee zu bitten), als nach einer Einführung in das dabei verwendete Denkwerkzeug (… die verwendete Kaffeemaschine).

Extensionales und intensionales WissenIn meiner Karriere als Wissenschaftler habe ich ca. 15 Jahre lang untersucht, warum über alle Schulstufen hinweg das Gelernte schon kurz nach der Prüfung vergessen geht und nicht wirklich genutzt werden kann. Mein Ziel war es dabei, das zu ändern. Nach diesen 15 Jahren war ich überzeugt, ein gutes Denkwerkzeug gefunden zu haben, das auch Lehrpersonen helfen könnte, ihren Unterricht wirksamer zu gestalten. Eine zentrale Rolle spielten das Ineinandergreifen von „extensionalem“ und „intensionalem“ Wissen. Was damit genau gemeint ist, ist hier nicht so wichtig.[1] Grob kann man die beiden Arten des Wissens mit dem parallel setzen, was Daniel Kahneman in seinem bekannten Buch mit „schnellem“ und „langsamem“ Denken bezeichnet.[2]

Ich habe dann versucht, in Kursen dieses Denkwerkzeug an Lehrpersonen weiterzugeben. Die ersten Versuche sind hoffnungslos gescheitert. Im Grunde genommen habe ich dann nochmals 15 Jahre oder mehr gebraucht, um zusammen mit Lehrpersonen aus meinem ursprünglichen Denkwerkzeug ein Werkzeug zu formen, dass auch für sie handhabbar war. [3]

Wissenschaftler:innen sind super Experten, aber nur, wenn man sich im Klaren ist, welche Ziele sie in ihrer Arbeit verfolgen.

Ein Beispiel dafür, dass dies nicht immer einfach ist, bietet das Fallbeispiel Mathematik der Corona-Zahlen. Welche Ziele einen Mathematiker antreiben und dazu führen, dass er die Verdopplungszahlen als ungeeignet ablehnt, kann man eigentlich nur verstehen, wenn man selbst Mathematik studiert hat. Und entsprechend schwierig ist es abzuschätzen, ob sein Ziel sich mit unseren Zielen soweit deckt, dass sein Werkzeug auch für uns nützlich sein kann.

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[1] Eine Definition findet sich bspw. in: Kaiser, H. & Keller, B. (1989). Learning: Fitting the world model to the task. Can we learn every world model for every task by doing? In H. Mandl, DeCorte, E., Bennett, N. & Friedrich, H.F. (Ed.), Proceedings of the Second European Conference for Research on Learning and Instruction. Vol. 2.1 (pp. 219-230.). Oxford: Pergamon.

[2] Kahneman, D. (2012). Schnelles Denken, langsames Denken München: Siedler Verlag.

[3] Kaiser, H. (2019). Situationsdidaktik konkret. Rezepte, Beispiele, Grundlagen. Bern: hep verlag.