Newton und Flamsteed

1687 veröffentlichte Isaac Newton sein Hauptwerk und publizierte vier Formeln, mit deren Hilfe man u.a. berechnen kann, wie stark sich Erde und Sonne gegenseitig anziehen und was für eine Bewegung daraus entsteht. Dieselben Berechnungen kann man für alle Planeten machen, und so war es Newton möglich, Prognosen zu machen, wann welcher Planet wo am Himmel zu sehen ist. Er schickte in einem Brief einige solche Prognosen an John Flamsteed, den damaligen obersten Hofastronomen des Königshauses, und bat ihn, diese zu überprüfen [1]. Flamsteed tat dies und schrieb zurück, dass nach seinen Beobachtungen die Prognosen falsch seien. Das beeindruckte Newton aber nicht, sondern er vermutete, dass eher Flamsteeds Beobachtungen nicht korrekt waren.

Nicht dass Newton daran zweifelte, dass Flamsteed und seine Gehilfen sorgfältig gearbeitet hatten, dafür war Flamsteed als viel zu gründlich und gewissenhaft bekannt. Aber man nahm damals bereits an, dass das Licht, wenn es von einem Planeten oder Stern kommend auf die Erdatmosphäre trifft, leicht abgelenkt wird. Das führt dazu, dass die Sterne und Planeten nicht genau dort am Himmel stehen, wo man sie sieht [2] und entsprechend ist eine gewisse Korrektur der Beobachtungsdaten nötig, um die „richtige“ Position der beobachteten Sterne und Planeten zu kennen. Newton vermutete daher, dass nicht seine Berechnungen falsch waren, sondern dass Flamsteed seine Beobachtungen nicht richtig korrigiert hatte. Unterdessen ist allgemein akzeptiert, dass Newton richtig lag.

Das Beispiel illustriert: Wenn sich Theorie und Beobachtungen widersprechen, muss nicht zwingend die Theorie falsch sein. Denn wenn das Licht bei Eintritt in die Atmosphäre gebrochen wird, müssen wir das selbstverständlich mit einbeziehen und können nicht einfach darauf beharren, dass das, was man sieht, „wahrer“ ist als das, was die Theorie vorhersagt.


[1] Worall, J. (2003). Normal Science and Dogmatism, Paradigms and Progress: Kuhn ‚versus‘ Popper and Lakatos. In T. Nickles (Ed.), Thomas Kuhn (pp. 65-100). Cambridge: Cambridge University Press.

[2] Dasselbe geschieht, wenn Licht vom Wasser zur Luft überwechselt, sodass bspw. Fische, die wir von aussen im Wasser schwimmen sehen, sich nicht dort befinden, wo sie uns erscheinen. Das macht es nicht ganz einfach, einen Fisch von Hand zu fangen.