Ich habe einen grossen Teil meines beruflichen Lebens damit verbracht, neue Denkwerkzeuge zum Thema „Lernen“ zu entwickeln. Ich wollte Lehrpersonen Werkzeuge zur Unterrichtsgestaltung in die Hand geben, damit ihre Lernenden nicht gleich nach der Prüfung alles vergessen, sondern etwas für den Rest ihres Lebens mitnehmen können.
Kurz zusammengefasst ergab sich aus dieser Arbeit folgendes Bild wirksamen Lernens: Die Lernenden leben in einer Welt, welche für sie Fragen aufwirft. In der Schule erhalten sie die Gelegenheit, diese Fragen zu stellen und Lernende und Lehrpersonen versuchen gemeinsam, darauf Antworten zu entwickeln. Dabei spielt einerseits der Wissensvorsprung der Lehrperson eine Rolle. Genauso wichtig sind aber auch die Kenntnisse, welche die Lernenden über ihren Alltag mitbringen, der Auslöser zu ihren Fragen war. Die Lernenden tragen dann die so erarbeiteten Lösungen in ihren Alltag zurück. Das Ganze bekam den Namen „Situationsdidaktik“, weil die Lernenden aus einer Situation, die sie beschäftigt, in die Schule kommen und dann mit neuen Werkzeugen in diese Situation zurückkehren. (Ausführlicher am Beispiel des Fachrechnens in der Berufsbildung, oder allgemeiner: Kaiser, H. (2019) Situationsdidaktik konkret. Bern, hep verlag.)
An den meisten Schulen dominiert aber eine andere Vorstellung, wie (schulbasiertes) Lernen abläuft: Die Lehrperson weiss etwas, was nach ihrer (oder der Behörden) Meinung die Lernenden auch wissen sollten. Sie gibt dieses Wissen an die Lernenden weiter und die Lernenden wenden dann das Gelernte bei passender Gelegenheit an. Man könnte dem „Transmissionsdidaktik“ sagen.
Nachdem ich sicher war, dass das Denkwerkzeug der „Situationsdidaktik“ seinen Zweck erfüllt, versuchte ich es in Kursen Lehrpersonen als Instrument mitzugeben. Nicht alle konnten etwas damit anfangen, aber einige griffen zu, setzten es ein und waren zufrieden damit. Nur – und das ist der entscheidende Punkt, warum ich diese Geschichte hier erzähle – arbeiteten sie dadurch plötzlich mit einem Instrument, das sich deutlich von der Transferdidaktik ihrer Kolleginnen und Kollegen unterschied. Das erschwerte eine Zusammenarbeit innerhalb des Schulhauses. Gespräche im Lehrerzimmer konnten nicht mehr selbstverständlich von denselben gedanklichen Voraussetzungen ausgehen.
Auch wenn viele Lehrpersonen alleine vor ihrer Klasse stehen und eine enge Kooperation wie im Beispiel bei der Steuerung der Marssonde zwischen Lehrpersonen nicht nötig ist, hat ein solcher Kooperationsbruch auch in der Schule Folgen. Lehrpersonen sind in der schwierigen Lage, dass sie die Resultate ihrer Arbeit nicht wirklich direkt erleben. Ob die Lernenden etwas mitgenommen haben, zeigt sich erst viel später, wenn der Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden längst verloren gegangen ist. Lehrpersonen sind daher typischerweise mehr Burnout gefährdet, als etwa Personen in handwerklichen Berufen. Eine wichtige Stütze, um in dieser Situation nicht den Glauben an den Sinn der eigenen Arbeit zu verlieren, ist der Austausch mit gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen, durch den man sich versichert, dass man trotz allem sinnvoll und gut unterrichtet.
Die Lehrpersonen, die, angeregt durch meine Kurse, auf ein neues Denkwerkzeug umschwenkten, verloren diese Möglichkeit, sich im Kollegium auszutauschen. Und ich hatte daher während meiner Kurse oft Skrupel, ob ich sie nicht direkt ins Burnout treibe. Vermutlich ist das nie passiert, denn nur die Lehrpersonen, welche die daraus resultierende Isolation auch ertragen konnten, ergriffen das neue, von mir angebotene Werkzeug. Aber konsequenterweise sollte man nie einzelne Lehrpersonen weiterbilden, sondern in Form von Schulentwicklungen immer ganze Kollegien, sodass sich Gruppen bilden können, welche gemeinsam das neue Werkzeug nutzen.
(vgl. Seite Kooperation)