2 Terminologie
Es ist nicht einfach, über das Handeln in „mathematikhaltigen“ Situationen des beruflichen Alltags zu schreiben, ohne dass durch die Art der Beschreibung unüberprüfte theoretische Annahmen eingeschleust werden. „Mathematik anwenden“ bspw. dürfte bei vielen Lesenden und Schreibenden das Bild heraufbeschwören, dass die anwendende Person über mathematische Konzepte verfügt, mit deren Hilfe sie einen Ausschnitt der Welt erfasst und so die sich stellende Aufgabe löst (beschrieben bspw. als Modellieren, Maaß 2005). Das ist eine starke Annahme über die Beziehung zwischen Konzepten und dem Handeln in realen Alltagssituationen, die kognitionspsychologisch keineswegs als gesichert gelten kann (für alternative Modelle bspw. Böhle & Porschen 2012; Gustafsson & Mouwitz 2010; Kaiser 2005b; Lakoff u. Núñez 2000; Sfard 2008).
Es würde zu weit führen, hier die Gründe für alternative Modelle zu diskutieren. Sie werfen aber die Frage auf, wie sich das Geschehen sinnvoll beschreiben lässt, wenn jemand im beruflichen Alltag ein Aufgabe bearbeitet, welche aus der Beobachterperspektive als „mathematikhaltig“ beschrieben werden kann („Phänomen X“). Diese Frage muss eine begründete Didaktik des Mathematikunterrichts in der Berufsbildung explizit klären.
Die Diskussion dieser Frage wird dadurch erschwert, dass in Bezeichnungen wie „Alltagsmathematik“ oder „Gebrauch von Mathematik“ gedanklich immer schon „Mathematik“ enthalten ist. Weniger vorbelastet wäre ein Begriff, welcher das Wort „Mathematik“ ganz vermeidet. Versuche, entsprechende Begriffe zu prägen, wurden im Rahmen der Ethnomathematik schon verschiedene unternommen – geht es doch dort u.a. auch darum, Phänomene zu beschreiben, welche die Beteiligten keineswegs als „Mathematik“ bezeichnen würden. Einer der bekannteren und am besten ausgearbeiteten Vorschläge stammt von Bishop (1988). Er beschreibt „six universal activities”:
- Zählen (counting)
- Messen (measuring)
- Verorten (locating)
- Entwerfen (designing)
- Spielen (playing)
- Erklären (explaining).
Die ersten drei dieser Aktivitäten scheinen mir grundlegend. Ich werde daher im Folgenden für das „Phänomen X“ („Jemand bearbeitet im Alltag eine Aufgabe, welche aus der Beobachterperspektive als ‚mathematikhaltig‘ beschreiben werden kann“) das Kürzel ZMV (Zählen-Messen-Verorten) verwenden.
Damit soll nichts anderes erreicht werden, als gewisse Zusammenhänge besser diskutierbar zu machen. Zur Illustration eine Analogie aus dem sprachlichen Bereich: Dort kennt man die Unterscheidung zwischen Sprache und Linguistik. Diese Unterscheidung macht Aussagen wie „Sprachgebrauch ist Anwendung von Linguistik“ zu einer – diskutierbaren – empirischen Behauptung.
Setzt man in dieser Analogie ZMV der Sprache oder dem Sprachgebrauch gleich, dann ist das Anlog zur Linguistik auf der mathematischen Seite die (akademische) Mathematik als Disziplin, so wie sie vor allem an Hochschulen gelehrt und betrieben wird. Das Betreiben akademischer Mathematik als „Phänomen Y“ soll im Folgenden kurz als HM (Hochschulmathematik) bezeichnet werden.
Davon abzugrenzen ist als ein drittes „Phänomen Z“ jene Spielart von Mathematik, wie sie an allgemeinbildenden Schulen von der Primarschule bis zum Gymnasium betrieben wird (Fischer et al. 2009, Watson 2008) – im Folgenden kurz SM (Schulmathematik) genannt.
Es besteht nicht der Anspruch, dass ZMV, SM und HM so gefasst klar abgegrenzte und gut definierte Begriffe sind. Die Unterscheidung soll nur helfen, im Folgenden ein paar Fragen einfacher zu formulieren. Bei der Beantwortung der Fragen könnte sich dann durchaus zeigen, dass die getroffene Unterscheidung nicht zweckmäßig ist.