Forschungsagenda …

1 Welche Ziele sollen im Zusammenhang mit der Behandlung mathematischer Inhalte im Rahmen der beruflichen Erstausbildung erreicht werden?

Beim Durchsehen von behördlichen Dokumenten und Lehrplänen sowie im Gespräch mit unterschiedlichen Akteuren der Berufsbildung trifft man auf mindestens folgende drei Ziele:

Die Lernenden handlungsfähig machen: Da die Lernenden am Ende ihrer Ausbildung fähig sein sollten, gewisse berufliche Aufgaben/Situationen kompetent zu bewältigen, ist es das erste und naheliegendste Ziel der Berufsbildung, ihnen das dazu notwendige mathematisch/rechnerische Rüstzeug zu vermitteln. Typische solche Aufgaben/Situationen sind: Als Schreinerin auf der Baustelle einen rechten Winkel überprüfen; als Milchtechnologe Vollmilch und Magermilch mischen, um einen bestimmten Fettgehalt zu erreichen; als Pflegende eine Infusion richten, so dass der Patient die verordnete Dosis in der verordneten Zeitspanne erhält; etc.

Die Lernenden auf spätere Weiterbildungen vorbereiten: Oft besteht darüber hinaus der Anspruch, die Lernenden nicht nur auf das vorzubereiten, was sie in der beruflichen Praxis gleich nach Abschluss der Ausbildung erwartet, sondern auch eine Grundlage für weiteres Lernen entweder direkt am Arbeitsplatz oder dann in Weiterbildungen oder weiterführenden, höheren Ausbildungen zu legen – Lehrpersonen und andere Akteure im Bildungssystem möchten den Lernenden „einen Rucksack mitgeben“. Beim Verfolgen dieses Zieles werden manchmal im Unterricht an den Berufsfachschulen neue Inhalte erarbeitet, welche über die Inhalte der obligatorischen Schulzeit hinausgehen. Oft geht es aber einfach auch darum, bereits vorhandenes Wissen und Können, das in der beruflichen Grundbildung nicht benötigt wird, aktiv zu erhalten. Ein typisches Beispiel für die erste Variante wäre: Trigonometrische Funktionen als Grundlagen für Weiterbildungen im Elektrobereich. Typische Beispiele für die zweite Variante: Preisberechnungen bei Köchinnen oder das Errechnen von Kennzahlen bestimmter Lagerkonfigurationen bei Logistikern – beides Aufgaben, welche erst in Weiterbildungen wirklich zum Thema werden.

Den Lernenden ein Verständnis für die Bedeutung der Mathematik in der modernen Welt vermitteln: Für die Bedienung von Geräten wie Smartphones oder für die Teilnahme an Wahlen ist es nicht zwingend notwendig, die Mathematik zu kennen und zu verstehen, welche bei der Entwicklung der Geräte oder des Wahlverfahrens eine Rolle gespielt haben. Ein Verständnis dafür kann aber helfen, sich aktiv, bewusst und kritisch in einer Welt zu bewegen, welche vielerorts durch den Einsatz mathematischer Modelle geprägt ist. Wenn die dazu benötigte Mathematik über das hinausgeht, was bis zum Eintritt in die Berufsbildung vermittelt werden kann (bspw. die Verschlüsselung von Nachrichten auf dem Smartphone), oder wenn die Betroffenheit und damit das Interesse für die jeweiligen Themen erst frühestens während der beruflichen Grundbildung gegeben sind (bspw. Wahlen und Abstimmungen), kann hier die Berufsbildung im Anschluss an die obligatorische Schulzeit Aufgaben übernehmen.

Neben diesen drei Zielen muss der Vollständigkeit halber noch ein viertes Ziel erwähnt werden, welches Lehrpersonen immer wieder einmal verfolgen: Der Einsatz von Rechen- bzw. Mathematikaufgaben im Unterricht als Disziplinierungs- und Selektionsinstrument. Dazu zwei Beispiele aus vielen, denen ich während der Entstehungszeit von FKF begegnet bin: „Fachrechnen wird vor allem zur Disziplinierung der Lernenden eingesetzt.“ (Antwort einer Lehrperson für Milchtechnologie auf die Frage zur Bedeutung des Fachrechnens) und „Jetzt haben wir kein Selektionsinstrument mehr.“ (Straßenbauer, nach einer Revision des Lehrplans, die dazu führte, dass nur noch Aufgaben/Situationen behandelt werden, wie sie auf der Baustelle auch tatsächlich vorkommen, und welche von den Lernenden typischerweise problemlos gemeistert werden).

Die ersten drei Ziele sind alles Ziele, die aus meiner Sicht ihre Berechtigung haben. Allerdings werden das zweite Ziel („Rucksack“) und das dritte Ziel („Verständnis“) auch an allgemeinbildenden Schulen verfolgt. Es dürften sich bei diesen Zielen im Rahmen der Berufsbildung dieselben didaktischen Fragen stellen wie auch im allgemeinbildenden Unterricht – auch wenn die behandelten Inhalte vielleicht verschieden sind.

Hingegen ist das erste Ziel („Handlungsfähigkeit“) ein genuin berufsbildendes Ziel. Um die vorhandenen Ressourcen gezielt einzusetzen, hat FKF deshalb nur dieses Ziel vertieft verfolgt. Und entsprechend sind die folgenden Fragen relativ zum Ziel „Handlungsfähigkeit“ zu verstehen.