Entwicklung im Bildungssystem als Evolutionsprozess

6.2 Gene

In welcher Form neues und altes Wissen in den Köpfen der Lehrpersonen wirksam wird, ist schwierig zu sagen. Arbeitet man aber wie vorgeschlagen mit Diskussionsforen, dann kann man dort vorgeben, welche Form die schriftlich dargestellten Gene annehmen sollen.

Eine Variante würde darin bestehen, die Diskussionen nach dem Situationen-Ressourcen-Modell zu strukturieren (Kaiser 2005). Einheit der Diskussion wären Unterrichtssituationen bzw. die Fragen/Probleme, welche diese aufwerfen, bspw.:

Praxis ist in der Schule nicht präsent

Im Chemieunterricht geht es darum, eine bestimmte Reaktionsgleichung zu behandeln. Die Lernenden erhalten als Aufgabe zwei Ausgangsstoffe und sie sollen als Formel beschreiben, was geschieht, wenn man diese beiden Stoffe mischt. Aus der Praxis kennen sie diesen Vorgang und sollten eigentlich genau wissen, dass bei solchen Reaktionen – so auch in diesem Fall – giftige Gase entstehen können. Der Lehrer hat beobachtet, dass sie im Labor in einem entsprechenden Fall ganz selbstverständlich eine Gasabsorption aufgebaut haben, um mit diesen Gasen fertig zu werden. In der Theorie, d.h. beim Lösen dieser Aufgabe scheinen sie sich aber nicht mehr an diese Erfahrung zu erinnern. Viele vergessen bei den Produkten einfach den entsprechenden Term für das giftige Gas, obwohl eine Kontrolle der niedergeschrieben Gleichung zeigen würde, dass etwas nicht stimmen kann. Andere schreiben sogar eine falsche Formel für die Ausgangsstoffe hin, so dass nur das gewünschte Nutzprodukt entsteht, nicht aber das giftige Gas als Nebenprodukt.

Frage: Wie kann man erreichen, dass die Lernenden in der Schule ihre praktischen Erfahrungen mit einbeziehen?

Antworten darauf können zwei verschiedene Formen annehmen:

  1. Geschichten der Art: „Ich verlange von den Lernenden, dass sie, bevor sie zu rechnen beginnen, zuerst einmal eine Zeichnung dessen machen, was da geschieht. Bspw. … „
  2. Hinweise auf nützliche konzeptionelle Ressourcen wie theoretische Konzepte oder didaktische Anleitungen wie „Versuch einmal den Unterricht nach den Acht Schritten zu strukturieren.“

Um dies zu erreichen, könnte man zwei verschiedene Antwortbereiche vorsehen, einen für Geschichten/Fallbeispiele und einen für Querverweise auf konzeptionelle Ressourcen. Die Beiträge in den beiden Bereichen würden separat bewertet und in eine Reihenfolge gebracht. (Diese beiden Bereiche entsprechen grob dem deklarativen und dem situativen System im IML)

Der Genpool würde so einerseits aus Geschichten/Fallbeispielen und andererseits aus geeigneten konzeptionellen Ressourcen bestehen, die immer im Rahmen von problemhaltigen Situationen aufeinander bezogen wären. Vorgaben für die Form der Geschichten bzw. der Ressourcen dürften nicht sinnvoll sein. Vielmehr entspricht es der Grundidee, dass hier Variationen und „Mutationen“ aller Art zugelassen und dann im Gebrauch selektioniert werden.

Kompatibel dazu wären Ausbildungen und Weiterbildungskurse, die ebenfalls mit diesem Format arbeiten (Das Schienenmodell bzw. Kaiser 2002). Das Beispiel einer Geschichte bzw. Fragestellung oben ist das Produkt aus einem derartigen Weiterbildungskurs (vgl. dazu Kaiser 2010 und auch Lernförderung im Bereich Mathematik).