Entwicklung im Bildungssystem als Evolutionsprozess

5 Vorteile

Das klassische Modell für die Entwicklung des Lehrerverhaltens ist die Top-Down-Implementierung: Fachleute (Dozierenden sowie Politikerinnen und Politiker) entwickeln basierend auf empirischer Forschung optimale Unterrichtszenarien etc.; diese werden den Lehrpersonen über Ausbildungen, Kurse und Publikationen vermittelt und von den Lehrpersonen dann in ihrem Unterricht umgesetzt. Abgesehen davon, dass – wie eingangs erwähnt – diese Top-Down-Implementierung nicht zu funktionieren scheint, stellt sich die Frage, ob der Evolutionsprozess gegenüber der Top-Down-Implementierung nicht Vorteile hat, so dass man ihn so oder so bevorzugen sollte.

Die Forschung sowohl zur Darwinschen Evolution wie auch zu den Genetischen Algorithmen hat unter anderem folgende Merkmale herausgearbeitet, die als Vorteile interpretiertet werden können:

  • Anpassungsfähigkeit: Zeigen alle Lehrpersonen zu einem Zeitpunkt dasselbe, momentan optimale Verhalten, ist das System als Ganzes sehr anfällig auf Störungen. Sobald aufgrund einer Veränderung der Umwelt das alte Vorgehen nicht mehr optimal ist, müssen bei der Top-Down-Implementierung im Prinzip neue Konzepte, Unterrichtsszenarien etc. eingespeist werden. Wurde die Veränderung nicht antizipiert, kann das unter Umständen zu langen Verzögerung in der Anpassung an die veränderte Umwelt führen. In einem Evolutionspress kommt es nie zu so einer Verengung auf nur eine Alternative, sondern es sind zu jedem Zeitpunkt verschiedenste – auch nicht optimale – Genkombinationen aktiv, die das Potential haben, auf eine Veränderung der Umwelt reagieren zu können.
  • Robustheit: Aus der Arbeit mit Genetischen Algorithmen ist bekannt, dass diese typischerweise „spröde“ Lösungen übersehen, auch wenn diese viel besser wären als alle anderen Möglichkeiten (Markov, 2014). „Spröde“ Lösungen sind Lösungen, die bei kleinsten Veränderungen (im Verhalten oder der Umwelt) nicht mehr funktionieren. Genetische Algorithmen treffen manchmal auf solche Lösungen, verlassen sie aber schnell wieder, da all ihre Nachkommen sehr schlecht bewertet werden. Genetische Algorithmen bleiben dafür an Lösungen hängen, deren leicht variierte Nachbarn brauchbar sind und die daher im praktischen Alltag eine gewisse Robustheit aufweisen. Bei der Top-Down-Implementierung besteht hingen eine gewisse Gefahr, dass Vorgehensweisen propagiert werden, die tatsächlich sehr gut sind, aber nur dann, wenn man sich genau an die bspw. im Labor entwickelten Vorgaben hält.
  • Kombinierbarkeit: Auch wenn eine bestimmte Genkombination eine perfekte Lösung ist, wird sie bei einer Rekombination aufgegeben und unter Umständen durch eine weniger nützliche ersetzt. Wie gesagt, kann das dazu führen, dass das ganze System besser auf Veränderungen in der Umwelt vorbereitet ist. Livnat, Papadimitriou, & Feldman (2008) haben sich gefragt, ob darüber hinaus die ständige Rekombination auch in einer stabilen Umwelt ihre Vorteile hat. In einer Simulation konnten sie feststellen, dass sich dadurch Gene durchsetzen, die besser kombinierbar sind, die in unterschiedlichen Kombinationen mit anderen, ebenfalls so ausgelesenen Genen, immer zu relativ guten Resultaten führen. Auch hier besteht bei einer Top-Down-Implementierung die Gefahr, dass für verschiedene, unterschiedliche Probleme (wie bspw. Klassenführung und Binnendifferenzierung) mehr oder weniger unabhängig entwickelte, je optimale Vorgehensweisen sich schlecht kombinieren lassen.