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Technische Interesse

Als junger Forschungsassistent war ich mehrfach in Projekten engagiert, die vom Selbstverständnis der Projektinitiatoren her „wissenschaftlich“ waren und damit implizit ein technisches Interesse verfolgten, da dies dem dominanten Verständnis von Wissenschaft entsprach. Ob dabei je brauchbare technische Regeln entstanden sind, ist fraglich. Eindeutig hat die Arbeit in diesen Projekten aber dazu beigetragen, dass mir klar wurde, dass ich im Zusammenhang mit Menschen nicht an technischem Wissen interessiert war. Exemplarisch dafür waren die Erlebnisse im Projekt „Fragegenese“.

Initiator war August Flammer. Ausgangspunkt war seine Ernüchterung bezüglich der Nützlichkeit des Aptitude Treatment Interaction (ATI) Ansatzes für die Gestaltung von Unterricht. Der ATI Ansatz ging von der Beobachtung aus, dass Lernende verschieden sind, verschiedene Fähigkeiten mitbringen (Aptitudes) und daher durch die Lehrperson je unterschiedlich behandelt werden sollten (Treatment). Man wollte erforschen, welche Aptitudes der Lernenden mit welchen Treatments günstig interagieren (Interaction), und hoffte, dieses Wissen würde Lehrpersonen helfen, verschiedene Gruppen von Lernenden differenziert zu behandeln. Der Ansatz scheiterte aus verschiedenen Gründen. U.a. zeigte sich, dass die Lehrpersonen im Klassenunterricht heillos damit überfordert waren, all die verschiedenen Aptitudes zu berücksichtigen, welche die Forschung untersucht hatte (Flammer 1978).

Flammer zog daraus den Schluss, dass die Verantwortung für Differenzierungen im Unterricht nicht allein bei der Lehrperson liegen kann, sondern dass die Lernenden auch ihren Teil übernehmen müssen, indem sie u.a. Fragen stellen und so signalisieren, wo sie Unterstützungsbedarf haben. Er begannt sich daher mit dem Thema „Fragen stellen“ auseinanderzusetzen und wollte ergründen, wie man (wer? die Lehrperson?) vorhersagen kann, welche Fragen Lernende stellen werden (bspw. Flammer, Kaiser & Lüthi 1981). Dieser Verdrehung eines praktischen Anliegens (in der Interaktion verstehen, was die einzelnen Lernenden brauchen) in ein technisches (in einer Situation vorhersagen, welche Fragen gestellt werden), welche wohl dem Druck durch das dominante Wissenschaftsverständnis geschuldet war, schien Flammer nicht zu stören. Ich hatte aber Mühe damit, und ich denke, da hat mir die Auseinandersetzung mit Habermas geholfen. Es schien mir damals wie heute unsinnig, nachdem man sich fragende Lernende gewünscht hatte, diese Fragen wieder überflüssig zu machen, indem man sie vorhersagt!