Nimmt man das IML 2 ernst, dann ergeben sich daraus verschiedene Konsequenzen für das Lehren wie das Lernen. Hier eine Zusammenstellung aus der Sicht des Lehrens.
Ziel der Berufsbildung ist reflektiertes situatives Wissen
Handlungsleitend ist das situative System. Will die Berufsbildung handlungsleitendes Wissen vermitteln, muss sie in letzter Konsequenz den Lernenden zu gut ausgebildetem situativem Wissen verhelfen. Das bedeutet:
- Die Bildungsziele müssen dieses situative Wissen umschrieben sein. Ein Versuch in diese Richtung sind die situierten Kompetenzen.
- Der Ausbildung muss den ganzen Weg bis zum reflektierten situativen Wissen gehen.
- Auf diesem Weg verschiebt sich das Wissen der Lernenden vom „deklarativen“ Anfänger zur „situierten“ Expertin.
Die Arbeit an vorhandenen Erfahrungen ist oft wichtiger als die Vorbereitung auf neue Erfahrungen
Die Erfahrungen, welche die Lernenden im Betrieb machen, werden handlungsleitend sein. In der Schule gelernte deklarative Konzepte haben Mühe sich dagegen durchzusetzen. Zudem sind viele dieser Konzepte zu vage, als dass sich konkrete Handlungspläne daraus ableiten liessen. Das bedeutet:
- Zumindest sobald Erfahrungen aus der Arbeit im Betrieb vorliegen, muss die Schule diese aufgreifen und damit arbeiten.
- Lernende bringen aber auch sonst immer bereits Vorerfahrungen mit. Will man mit ihnen ein neues Vorgehen einüben, muss man dies berücksichtigen.
- Alle Überlegungen hier gelten selbstverständlich auch für die Gestaltung wirksamer Veranstaltungen in der Lehrerbildung!
Die Lernsituation muss der Anwendungssituation ähnlich sein
Neue Erfahrungen und auch das darin eingebettete Wissen der anderen Systeme werden in der Anwendungssituation nur aktiv, wenn sie auch erinnert werden. Dies ist umso eher der Fall, je ähnlicher für die Lernenden die Lernsituation – in der die neuen Erfahrungen entstehen – und die Anwendungssituation sind. Das bedeutet:
- Unterricht muss den Bezug zur Anwendungssituation herstellen.
- Unter Umständen brauchen die Lernenden Unterstützung dabei, alte Gewohnheiten zu überwinden, damit sich die neuen Erfahrungen durchsetzen können.
Anwendungsprobleme Behandeln ist mindestens so wichtig wie Erklären und Üben
Deklarative Konzepte, Rezepte, Regeln etc. und auch gut prozeduralisierte Routinen im prozeduralen System wenden sich nicht von selbst an. Beim Aufbau entsprechender Erfahrungen, welche diese Wissensstücke einbetten können, treten immer wieder Anwendungsprobleme auf, auf die beispielsweise das neu gelernte deklarative Konzept keine Antwort hat. Das bedeutet:
- Die Frage, was es bedeuten würde, die neue gelernten Inhalte im Betrieb anzuwenden, braucht in der Schule viel Platz.
- Die Hauptschwierigkeit beim Erlernen eines neuen Vorgehens sind die auftretenden Anwendungsprobleme. Sie müssen sorgfältig behandelt werden.
Denkwerkzeuge sollten situationsbezogen sein
Je abstrakter Konzepte, Regel, Verfahrensvorschriften etc. sind, umso grösser sind die Anwendungsprobleme, die überwunden werden müssen, umso schwieriger ist es, diese Konzepte für eine bestimmte Situation zu konkretisieren. Das bedeutet:
- Verwendete Konzepte sollten nicht abstrakter sein, als nötig.
- Abstraktion, d.h. die Einsicht, dass zwei im Alltag als unterschiedlich erlebte Situationen sich auf einer abstrakten Ebene ähnlich sind, ist oft keine Voraussetzung für Handlungsfähigkeit, sondern ein Bonus für intellektuell interessierte.
- Der Transfer von Wissen aus einer Art von Situationen in eine andere Art ist oft nicht über Abstraktion möglich, sondern muss „horizontal“ erfolgen.