Berufliche Berechnungssituationen sammeln

Will man das Fachrechnen konsequent auf den tatsächlichen beruflichen Alltag ausrichten, muss man als erstes wissen, wo in diesem Alltag was und wie gerechnet wird.

Es hat sich bewährt, zu diesem Zweck eine Liste von Situationen zusammenzustellen, die im beruflichen Alltag immer wieder auftreten und in denen gerechnet wird. So eine Situation könnte sein: „Amir und Beat sind dabei, den Garagenvorplatz an der Talstrasse 12 mit einem neuen Belag zu versehen. Der Belag soll 4 cm dick werden. Sie vermessen zusammen grob den trapezförmigen Vorplatz und berechnen dann auf Grund dieser Masse und mit Hilfe des Taschenrechners, wie viele Tonnen Belag sie benötigen. Diesen bestellen sie anschliessend beim Werk.“

Mögliche Quellen

Bildungspläne und bestehende Lehrmittel sind nur begrenzt taugliche Quellen für eine Sammlung von echten beruflichen Berechnungssituationen. Sie sind oft das Produkt von Traditionen, die weit zurückreichen und deren Wurzeln nicht einfach
auszumachen sind.

Eine Ausnahme stellen Bildungspläne dar, die nach der
Kompetenzen-Ressourcen-Methode geschrieben sind
(vgl. Situierte Kompetenzen). 
Die in diesen Plänen enthaltenen Situationen (nicht 
die Ressourcen!) können einen nützlichen Ausgangspunkt
darstellen, indem man innerhalb dieser Situationen 
nach Teilsituationen sucht, in denen gerechnet wird.

Ebenfalls nur begrenzt hilfreich ist es, direkt in Betrieben Arbeitsabläufe zu beobachten oder erfahrene Berufsleute zu befragen. Berechnungen im beruflichen Alltag sind typischerweise nahtlos in Handlungsabläufe integriert. Sie sind nur schwer beobachtbar und werden kaum als isolierbarer Teilschritt wahrgenommen.

Die nützlichste Quelle scheinen Lehrpersonen zu sein, die erst vor einigen Jahren aus der beruflichen Praxis an eine Berufsfachschule gewechselt haben. Einerseits sind ihre Erinnerungen an den beruflichen Alltag noch frisch und geben mit hoher Wahrscheinlichkeit die aktuelle Praxis wieder. Andererseits waren sie, um ihren Unterricht vorbereiten zu können, gezwungen, explizit über diese Praxis nachzudenken.

Ideal ist eine Gruppe von drei bis vier Lehrpersonen, welche die diesem Leitfaden zugrunde liegende Haltung teilen und auch bereit sind, selbstkritisch ihre vorhandenen Ãœberzeugungen zu hinterfragen.

Mögliche Bereiche

Da Berechnungen, wie bereits erwähnt, oft nahtlos in Handlungsabläufe integriert sind, ist es nicht einfach, alle Situationen aufzuspüren, in denen Berechnungen eine Rolle spielen. Hilfreich ist es, wenn man über ein Suchraster verfügt, das hilft zu überprüfen, ob man an alles gedacht hat.

Eine nützliche Hilfe ist folgende Liste von Deskriptoren. Jeder Deskriptor beschreibt eine „mathematische“ Anforderung, die sich aus einer konkreten beruflichen Handlungssituation ergeben kann.

- Alphanumerische Codes entziffern (Zimmernummern, 
  Artikelnummern, …).
- Geometrische Darstellungen lesen.
- Wertetabellen lesen.
- Graphiken lesen.
- Unterschiedliche numerischer Konzepte verstehen, 
  so wie sie im Arbeitskontext relevant sind.
- Daten notieren als Resultat von Beobachtungen oder 
  Messungen am Arbeitsplatz.
- Geometrische Darstellungen erstellen (Skizzen, Pläne).
- Einfache Berechnungen für bestimmte Aufgaben am 
  Arbeitsplatz ausführen.
- Sich im Raum und der Zeit orientieren 
 (Pläne, Karten, Arbeitspläne, Fahrpläne, …).
- Zeitliche Abläufe planen.
- Raumzeitliche Abläufe planen.
- Sich abzeichnende Trends erkennen.
- Unterschiedliche Messungen durchführen.

Vorgehen

Idealerweise organisiert man als Einstieg einen zeitlich gut bemessenen Workshop (mindestens vier Stunden) mit den als Quellen geeigneten Personen. Benötigt werden ausreichend Flipchart-Blätter und viel Platz, um diese aufzuhängen.

Die Teilnehmenden sollten all ihre Unterlagen mitbringen : Bildungsplan, Lehrmittel, alte Prüfungen etc. Diese Unterlagen eigenen sich zwar nicht als direkte Quellen für Situationen, sie können aber eingesetzt werden, um die entstehende Sammlung (kritisch) auf Vollständigkeit zu überprüfen.

Gemeinsam geht man dann in Gedanken einen typischen Arbeitstag, eine typische Arbeitswoche oder gar einen typischen Jahresverlauf durch. Welche Einheit man wählt, hängt davon ab, in welchen Zeitabständen sich beim betrachteten Beruf die Aktivitäten wiederholen. Bei diesem ersten Durchlauf versucht man, der Reihe nach eine Liste von typischen Situationen zusammenzustellen, bei denen „mathematische“ Ãœberlegungen eine Rolle spielen. Fürs erste genügt es, zu jeder Situation einen sprechenden Titel festzuhalten (beispielsweise „Belag bestellen“), der alle Beteiligten an die gemeinsam besprochene Situation erinnert. Selten werden mehr als 10 bis 20 solcher Situationen benötigt, um das ganze Spektrum der typischen Aktivitäten eines Berufes abzudecken. Dieser Schritt benötigt gut eine Stunde oder auch etwas mehr Zeit.

Als nächstes wird für jede der gefundenen Situationen der entsprechende Titel auf ein Flipchart-Blatt übertragen und jede der teilnehmenden Personen übernimmt es, einige dieser Situationen näher zu umschreiben. Je nach Anzahl gefundener Situationen und beteiligter Personen dauert dieser Abschnitt bis zu einer guten Stunde.

Die Blätter werden dann möglichst alle rund herum im Raum aufgehängt und die Situationsbeschreibungen der Reihe nach gemeinsam besprochen, modifiziert und ergänzt. Ziel ist es, eine Reihe von Beschreibungen zu haben, die von allen als Beschreibungen von real regelmässig auftretenden typischen Situationen akzeptiert werden. Diese Diskussionen benötigen bis zu zwei Stunden Zeit.

Als Letztes geht es darum, allfällige Lücken bzw. fehlende Situationen aufzuspüren. Jede der anwesenden Personen übernimmt es, eine oder mehrere der mitgebrachten Unterlagen (Bildungsplan, Lehrmittel etc.) durchzugehen und zu überprüfen, ob in diesen Unterlagen allenfalls noch die eine oder andere (real vorkommende!) Situation angesprochen wird, die bisher vergessen ging. Allfällig Vorschläge für solche weiteren Situationen werden gemeinsam besprochen und wenn nötig gleich wie die bereits erfassten Situationen ausgearbeitet.

Hintergrund

Beispiele

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