Handeln ohne ausreichende Erfahrung

„Ohne ausreichende Erfahrungen“ bedeutet: Das situative System kann nicht einfach in Analogie zu erlebten Situationen einen Handlungsentwurf für die neue Situation generieren.

Aber auch in diesem Fall wird die neue Situation vom situativen System irgendwie eingeordnet und dann deklaratives Wissen aktiviert, das in diesem Fall nützlich sein könnte (was genau genommen auch eine erfahrungsgeleitete Reaktion ist). Hat jemand also beispielsweise noch keine Erfahrung im Umgang mit dem Satz des Pythagoras, aber bereits etwas von diesem Satz gehört, dann wird sich diese Person im günstigen Fall daran erinnern (an die Situation, in der sie etwas vom Satz gehört hat) und das entsprechende deklarative Wissen aktivieren (die Spuren, welche das Gehörte hinterlassen hat).

Das deklarative System plant dann auf Grund des vorhandenen Wissens ein mögliches Vorgehen. Dabei können dank der Vernetzung des deklarativen Wissens über das ursprünglich aktivierte Wissen hinaus weitere deklarative Wissensstücke aktiv werden. Damit eine Person auf diesem Weg also eine Aufgabe angehen, bei der der Satz des Phytagoras eine Rolle spielt, braucht sie einerseits deklaratives Wissen über den Satz und andererseits deklaratives Wissen, wie man den Satz einsetzen könnte. (Genau genommen kommt dabei ziemlich sicher das situative System zum Zuge, welches Erfahrungen liefert, wie man beispielsweise beim Lösen von Mathematikaufgaben vorgehen kann, für die man noch wenig Erfahrung hat.)

Um den entstehenden Plan zu überprüfen, kann das deklarative System das situative System benutzen, um die Umsetzung des Planes zu simulieren. Aus Erfahrungsstücken, welche im situativen System gegeben sind, wird zusammengesetzt, wie es aussehen könnte, wenn der Plan umgesetzt würde. Das Produkt dieser Simulation kann von einer rein gefühlsmässigen Reaktion („irgend etwas stimmt nicht“, „könnte gut gehen“ ….) bis zu einer deutlichen und detaillierten Vorstellung des zu erwarteten Geschehens reichen. Das deklarative System kann den Plan so lange variieren, bis eine Lösung gefunden wurde, die vom situativen System „akzeptiert“ wird.

Ist ein möglicher Plan gefunden, wird dieser angeleitet durch das deklarative System Schritt für Schritt abgearbeitet. Typischerweise treten dabei Schwierigkeiten auf, die so nicht vorhergesehen wurden und die eine neue Planung notwendig machen. (Genau genommen kommt dabei auch das situative System zum Zuge, welches Erfahrungen liefert, wie man Pläne umsetzt. Je nach Plan werden auch das prozedurale und das sensomotorische System an den entsprechenden Stellen Aufgaben übernehmen.)

Dieser Planungsprozess ist kognitiv anstrengend, relativ langsam, muss voll bewusst ablaufen und ist fehleranfällig. Sein Vorteil liegt darin, dass er es möglich macht, in Gebiete vorzustossen, zu denen noch kaum Erfahrungen vorliegen, und dass im Prinzip der gewählte Plan mittels der dabei eingesetzten deklarativen Wissensstücke beschreibbar und begründbar ist.

Wie die verschiedenen Klammerbemerkungen („genau genommen …“) zeigen, ist ein rein über das deklarative System gesteuerter Planungsprozess ein Extremfall, der so in Reinform kaum vorkommen dürfte. Real ist immer ein intensives Zusammenspiel aller Systeme zu erwarten. Liegen zu einer Aufgabe/Situation erst wenige Erfahrungen vor, spielt einfach das deklarative System eine grössere Rolle.