Das Modell von Maja Storch

Figur 1: Wissensarten und Lernwege bei Storch
(Wurm und Gehirn mit freundlicher Genehmigung von Maja Storch)

Quelle: Storch, M. (2010). Machen Sie doch, was Sie wollen! Wie ein Strudelwurm den Weg zu Zufriedenheit und Freiheit zeigt. Bern: Hans Huber.

Maja Storch nutzt ihr Modell, um Personen zu helfen, „wurmgerecht“ zu leben. Der Wurm steht für stark emotional geprägte Reaktionen auf neue Situationen oder Gedanken an solche Situationen. Diese Reaktionen basieren auf Erfahrungen mit ähnlichen Situationen in der Vergangenheit. Besteht keine Möglichkeit oder kein Anlass nachzudenken, setzt sich die Wurmreaktion durch. Sonst kann auch der Verstand das Verhalten bestimmen. Nicht „wurmgerecht“ ist, wenn der Verstand ständig Verhalten wählt, das beim Wurm stark negative Emotionen hervorruft (Wurm würgen). Wurmgerechter ist es, wenn der Verstand Verhaltensalternativen generiert – unter Umständen mit Hilfe der Umwelt (Ideenkorb) – auf die der Wurm positiv reagiert.

Da dies nicht immer möglich bzw. sinnvoll ist, kann der Verstand entweder kurzfristig den Wurm „würgen“ oder längerfristig den Wurm in die Wurmschule schicken. „Wurmschule“ heisst, dem Wurm neue Erfahrungen ermöglichen. Abzuwarten, bis der Wurm neue Erfahrungen gemacht hat, kann auch sinnvoll sein, wenn der Wurm zu einem Bereich noch keine ausreichenden Erfahrungen hat und entsprechend kein klares Wurmsignal sendet (abwarten und Wurmtee trinken).

Die Korrespondenz zwischen dem Modell und dem IML ist leicht herzustellen. Der Wurm entspricht dem situativen Wissen (oder besser dem „situativen System“, d.h. den Erinnerungen samt der Art, wie sie gebraucht werden und sich durchsetzen), das auf Erfahrungen basiert. Der Verstand entspricht dem deklarativen Wissen bzw. dem „deklarativen System“. Eine Möglichkeit, dieses Wissen anzureichern, besteht darin, andere Personen um Ideen zu bitten (Ideenkorb). Eine direkte Korrespondenz besteht auch zwischen „Wurmsignal übersetzen“ und dem „Beschreiben“ im IML. In beiden Fällen geht es darum, situatives Wissen/Wurmsignale deklarativ zu fassen. Und zu Letzt ist das „Planen“ im IML eine Umschreibung dessen, was in der Wurmschule geschieht: Es werden unter Anleitung des deklarativen Wissen/des Verstandes neue Erfahrungen gesammelt.

Figur 2: Das Modell von Storch hinterlegt mit dem IML

In der Struktur gibt es kaum Unterschiede zwischen den Modellen (ausser dass Maja Storch an einer eher nebensächlichen Stelle sensomotorisches Wissen zum Wurm rechnet; S. 111). Die Unterschiede liegen darin, dass die beiden Modelle unterschiedliche Aspekte derselben Vorgänge hervorheben:

Emotion vs. Kognition: Das IML befasst sich im Wesentlichen mit den kognitiven Aspekten, auch wenn ich immer betont habe, dass ein wesentlicher Teil des situativen Wissens die Emotionen darstellen, welche mit den Erinnerungen verbunden sind. Bei Maja Storch stehen hingegen die Emotionen im Zentrum. Es geht um die Frage, wie man mit diesen Emotionen „zusammenleben“ und sie allenfalls verändern kann. Das IML betont, dass man oft gar nicht anders handeln kann, als es das situative Wissen/der Wurm vorgibt, weil kein anderes Modell zur Verfügung steht – und das unter Umständen trotz negativen Emotionen. Maja Storch hebt hervor, dass man nicht anders handeln will/soll, als es der Wurm/das situative Wissen vorgibt, weil das Handeln gegen die damit verbundenen Emotionen längerfristig schädlich ist.

Wurmschule vs. Wurmalltag: Das IML wurde vor allem für Fälle entwickelt, in denen für bestimmte Situationen kein geeignetes situatives Wissen abgerufen werden kann und in denen keine starken Abneigungen bestehen, sich diesen Situationen auszusetzen. Es ist naheliegend, in diesen Fällen einerseits das vorhandene situative Wissen auf eventuell durch brauchbare Erinnerungen abzuklopfen (Strukturieren, Reflektieren: „theoriegeleitete Wurmschule“, im Modell von Maja Storch nicht enthalten), anderseits neue, nützliche Erfahrungen zu sammeln („praktische Wurmschule“ im Sinne von Maja Storch).

Demgegenüber geht Maja Storch eher von Fällen aus, in denen für eine bestimmte Situation sowohl situatives Wissen/Wurmreaktionen wie deklaratives Wissen bestehen und diese beiden Wissensquellen irgendwie ihr Zusammenleben/Zusammenwirken organisieren müssen. Da es oft schneller geht, mit dem Verstand neue Varianten zu entwerfen als wesentliche neue Erfahrungen zu sammeln, wird der Verstand auf die Suche nach wurmverträglichen Lösungen geschickt („Verstandesschule“?).

Entscheiden vs. Steuern: Im Modell von Maja Storch stehen relativ grobkörnige Entscheidungen im Zentrum („Soll ich in die Stadt ziehen oder nicht?“). Diese werden dann im laufe des Prozesses etwas feiner aufgelöst („In die Stadt ziehen und gleichzeitig ein Zimmer mit Blick auf die Berge behalten.“), die eigentliche Umsetzung der Entscheidung und die dabei notwendigen vielen kleinen weiteren Entscheidungen („Wie arrangiere ich mich mit den neuen Bewohnern des Hauses?“ etc.) werden nicht mehr thematisiert.

Im IML dagegen stehen tendenziell weniger die grossen Entscheidungen im Fokus (die Lehrperson hat sich entschieden, dass sie den Unterricht vermehrt differenziert gestalten will, so dass Starke und Schwache gleich gut zum Zuge kommen). Zentral sind viel mehr die vielen hundert kleinen Entscheidungen, die unter Druck während des Unterrichts ständig getroffen werden müssen, damit die „grosse Entscheidung“ überhaupt wirksam wird.

Wurm als Leitinstanz vs. Verstand als Leitinstanz: Maja Storch geht davon aus, dass es längerfristig keine gute Idee ist, den Wurm zu würgen. Entsprechend zeigt sie Weg auf, wie der Verstand den Wurm in eine Rückmeldeschleife einbinden kann, um wurmverträgliche Verhaltensmöglichkeiten zu generieren (Wurm befragen, Wurmsignal übersetzen, Wurmbilanz, Wurmlog). Der Wurm fungiert hier als Fixpunkt, der Verstand passt sich an – auch wenn klar ist, dass es Momente gibt, in denen das nicht sinnvoll ist, und der Wurm in die Schule muss.

Das IML geht davon aus, dass Handeln auf Grund von Erfahrungen, auf Grund von situativem Wissen an sich noch kein Qualitätsmerkmal ist. Man kann aus purer Gewohnheit immer wieder denselben Unsinn machen. Daher ist es wichtig, dass Erfahrungen bewertet werden, bewertet auf einer Skala zwischen „nie mehr wiederholen“ und „auf jeden Fall wieder ähnlich machen“. Als Bewertungsinstanz bieten sich geeignet deklarative Konzepte und Theorien an. Ausgehend vom situativen Wissen/dem Wurm wird das deklarative Wissen/der Verstand in eine Rückmeldeschleife eingebunden, um die Erfahrungen zu bewerten (Reflexionsbogen: Beschreiben, Bewerten). Der Verstand fungiert hier als Fixpunkt – auch wenn klar ist, dass es Momente geben kann, wo es gute Gründe gibt, von einem Konzept situationsgerecht abzuweichen.

In beiden Modellen sind beide Rückmeldeschleifen angedeutet, aber jeweils nur eine davon wirklich ausgearbeitet. Es dürfte spannend sein, die Schleife deklarativ – situativ – deklarativ ins IML explizit aufzunehmen und dort auszuarbeiten. (Sie hat unterdessen im IML2 eine vorläufige Aufnahme als Simulieren gefunden)