11. Problemlösen zu zweit (1980 – 84)

Nach den zwei Pendelausschlägen einerseits in die logisch, philosophischen Grundlagen des Lernens und andererseits mitten in den konkreten Schulalltag war die Zeit reif, das Thema anhand einer konkreten, forschungsmässig bewältigbaren Fragestellung anzupacken.

Die Grundfragestellung war immer noch dieselbe: Wie kann ich jemandem etwas erklären, so dass sie oder er das auch versteht. Meine Vorstellung von diesem Vorgang war so weit gediehen, dass mir klar war, dass natürlich Lehrer (Erklärender) und Lerner bereits etwas wissen. Nur nicht dasselbe. Naheliegend war es deshalb anzunehmen, dass ein Teil des Problems beim Erklären darin liegt, dass dieses Wissen irgendwie nicht aufeinander passt. Ich wollte deshalb untersuchen, was passiert, wenn zwei Personen mit unterschiedlichem Vorwissen, ja sogar mit unterschiedlich strukturiertem Wissen aufeinander treffen. Dazu entwickelte ich ein kleines Spiel für zwei Spieler.

Ausgangsmaterial ist ein Zahlenquadrat wie das obere Quadrat in der Figur unten. In den Feldern am rechten und am unteren Rand findet man die Summe der drei Zahlen in der jeweiligen Zeile oder Kolonne. Jeder der beiden Spieler erhält nun eine Kopie dieses Quadrates, in dem aber diverse Zahlen fehlen (untere Quadrate in der Figur). Zudem erfährt der eine Spieler (HANS) nur, dass am unteren Rand die Kolonnensummen stehen, nichts aber über die Zeilensummen. Beim anderen ist es nun umgekehrt. Einer der beiden bekommt dann den Auftrag mit Hilfe des anderen die Zahl im Feld ganz unten rechts zu errechnen.

In den Untersuchungen zeigte sich, dass die beiden Gesprächspartner oft sehr ineffizient vorgingen und manchmal durchaus lösbare Aufgaben nicht lösen konnten. Vor allem zwei Kooperationsfehler erwiesen sich als besonders gravierend:

Fallenlassen eines Gesprächsfaden: Jede Frage, die der eine Partner stellt und der andere nicht sofort beantworten kann, birgt die Möglichkeit, den Faden des Gesprächs weiter zu spinnen. Solche Fragen, und damit Wege, die zum Ziel geführt hätten, wurden aber oft nicht weiter verfolgt.

Fehlende Unterscheidung zwischen „momentan unbekannt“ und „definitiv unbekannt“: Dies zeigte sich auch rein sprachlich darin, dass die Teilnehmenden in ihren Antworten nicht danach unterschieden, ob sie auf eine Frage nur momentan keine Antwort geben konnten, weil das entsprechende Feld bei ihnen leer war, oder ob sie die Frage definitiv nicht beantworten konnten, weil sie auch keine Zusammenhänge sahen, über die sie den Feldinhalt hätten berechnen können.

Aus diesen Beobachtungen ergaben sich acht Kommunikationsregeln oder vielleicht besser Kooperationsregeln, die sich auch ausserhalb der engen Welt der Spiele als nützlich erwiesen.

Für Interessierte:

Das eigentliche Hauptresultat der Arbeit war die Entdeckung, dass wenn Lehren/Lernen als gemeinsames Bearbeiten einer Aufgabe geschieht, eine Kooperation auch bei nur teilweisem gegenseitigem Verständnis möglich ist.

Im Grunde genommen war dieser Ausgang eine grosse Überraschung für mich. Ich war davon ausgegangen, dass Lehrer und Lerner weitgehend dieselbe Wissensstruktur aufbauen müssen, damit der eine dem anderen helfen kann. Und als Resultat zeigte sich, dass sehr wohl der eine vom Wissen des anderen profitieren kann, wenn es nur immer wieder Berührungspunkte gibt, an denen das Gespräch und damit das Weiterdenken vom einen zum anderen springen kann.

Dies rückt die Idee des Lehrens und Lernens als kooperatives Unternehmen in den Vordergrund (vgl. das „Schienenmodell“ im Buch Kapitel 24). Die untersuchten Gespräche unterscheiden sich ja schon formal von der typischen Lehrer/Schüler-Situation in der Schule. Hier setzt der Lerner und nicht der Lehrer das Ziel. Nützlich sind diese Regeln in Situationen, in denen zwei oder mehr Partner lernen, indem sie gemeinsam eine Aufgabe bearbeiten. Das können Partner mit vergleichbarem Wissenstand sein wie die Psychologiestudenten in meinen Untersuchungen. Es funktioniert aber auch, wenn ein Wissensgefälle wie zwischen Lehrer und Lerner besteht.

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