Entstehung der Reflektierende Fallstudie

Konkreter Anstoss zur Entwicklung der „Reflektierenden Fallstudie“ war, dass in den neu revidierten Ausbildungsbestimmungen für die Ausbildung in Krankenpflege der Passus stand, dass als ein Teil der Schlussprüfung eine „Fallstudie“ gemacht werden muss. Dies war damit verbindlich vorgeschrieben, niemand wusste aber so recht, was man sich unter einer „Fallstudie“ denn genau vorstellen sollte. Also gingen wir daran, eine Form von Fallstudie zu entwerfen, die uns eine sinnvolle Prüfungsform schien (Kaiser & Künzel, 1996b; Kaiser & Künzel, 1996a).

Ausgangspunkt waren folgende zwei Ãœberlegungen: Zum ersten gingen wir davon aus, dass die Schlussprüfung einer Berufsausbildung ja prüfen soll, ob die entsprechende Person in der Lage ist, den Beruf auszuüben. Ob dies so ist, erfährt man am ehesten, wenn die geprüfte Person an der Prüfung etwas machen muss, das auch im Berufsalltag vorkommt. Die Prüfung sollte also von Form und Inhalt her einer Situation aus dem Berufsalltag entsprechen. Zum zweiten war klar, dass die „Fallstudie“ der Teil der Schlussprüfung war, der am theorielastigsten war. Die anderen Teile waren klar mehr praktisch ausgerichtet und fanden z.T. direkt am Krankenbett statt. Daraus ergab sich für uns die Aufgabe, der „Fallstudie“ eine Form zu geben, so dass sie einer möglichen Situation aus dem Berufsalltag entsprach, in welcher „Theorie“ eine grosse Rolle spielt. Von daher schlossen wir einmal aus, dass mit einer „Fallstudie“ hier eine grössere akademische Arbeit gemeint war, denn solche spielen im Berufsalltag Pflegender keine Rolle.

Wir schlossen aber auch aus, dass im Rahmen der „Fallstudie“ aufgrund eines Falls eine Planung gemacht wird. Das ist zwar eine sehr übliche Einsatzart von Fallstudien in Ausbildungen. Sie spielen z. B. in den Ausbildungsgängen der amerikanischen „Business Schools“ (insbesondere Harvard) als „case studies“ eine grosse Rolle (Kaiser, 1983). Wie die Expertenforschung aber zeigt (vgl. Buch Kapitel 21) wird im Berufsalltag selten ein Vorgehen aufgrund von „Theorie“ geplant. Sinnvoll erschien uns dagegen der Einsatz von „Theorie“, nachdem etwas geschehen war, um dieses Ereignis zu reflektieren, die „Fallstudie“ also als Reflexion von Praxis. Mit Reflexion war gemeint, dass man sich nach getaner Arbeit und einiger Distanz dazu hinsetzt, zusammenstellt und analysiert, was geschehen ist, und dann daraus seine Lehren zieht.

Neuere Texte dazu

Kaiser, H. (2002). Reflektierende Fallstudie (Skripten der Lehrerweiterbildung No. 9). Olten: Bildungszentrum für Gesundheitsberufe, Kanton Solothurn.

Kaiser, H. (2008). Berufliche Handlungssituationen machen Schule. Winterthur: Edition Swissmem.
Thema dieses Buches ist, wie man reale berufliche Situationen im Unterricht nutzen kann. Die reflektierende Fallstudie ist dabei nur ein Szenario von insgesamt fünf.

Ursprüngliche Texte

Kaiser, F.-J. (1983) Die Fallstudie: Theorie und Praxis der Fallstudiendidaktik. Bad Heilbrunn / Obb.: Klinkhardt.

Kaiser, H. & Künzel, M. (1996a) Fallstudien – ein Instrument um Praxis und Theorie zu entwickeln. Journal SRK, März 1996; 42-44.

Kaiser, H. & Künzel, M. (1996b) Fallstudien als Instrument zur Weiterentwicklung von Theorie und Praxis. Wabern: Abteilung Berufsbildung SRK.