Die folgenden Ãœberlegungen sind im Zusammenhang einer schulinternen Fortbildung von Instruktorinnen einer Ausbildung in Dentalhygiene entstanden.
Figur 1: Zusammenwirken von Makro- und Mikrosteuerung
Aus dem IML kann zusammen mit dem in Figur 1 dargestellten Bild der Steuerung von Bewegungen ein eigentliches didaktisches Rezept zum motorischen Lernen abgeleitet werden (vgl. auch Steiner, 1988, Kapitel 12).
Dieses Rezept umfasst drei Schritte
- Hineindenken in den Bewegungsablauf
- Richten der Aufmerksamkeit
- Einüben
Bei den ersten beiden Schritten handelt es sich um Vorbereitungen auf der `deklarativen (und teilweise extensionalen) Wissensebene. Der dritte Schritt befasst sich dann mit der Ausbildung der eigentlichen Mikroregulationen auf der sensomotorischen Ebene.
1. Hineindenken in den Bewegungsablauf
Als erstes müssen sich die Lernenden eine Vorstellung vom Bewegungsablauf aufbauen und diese Vorstellung soweit im Gedächtnis verankern, dass sie beim Einüben auch handlungsleitend sein kann.
1.1 deklarativ
Instruktion von Teilbewegungen, Regelkreise: Auf der Ebene des `deklarativen Wissens kann mit Hilfe von Diagrammen etc. der Bewegungsablauf in Teilschritte und Regelkreise zerlegt dargestellt werden. Bei dieser Instruktion ist auf dieselben Punkte zu achten, wie bei jeder Instruktion von `deklarativem Wissen.
Und wie immer beim Lernen auf der `deklarativen Ebene ist es nicht damit getan, dass der Inhalt nur instruiert und verstanden wird, sondern er muss auch noch geübt werden. Unter „Ãœben“ ist dabei noch nicht das `Einüben auf der sensomotorischen Ebene zu verstehen, sondern es geht darum die verstandenen `deklarativen Inhalte (Abfolge von Teilbewegungen, involvierte Regelkreise, etc.) so im Gedächtnis zu verankern, dass sie beim `Einüben auf der motorischen Ebene dann auch wirksam werden können. Mögliche Ãœbungstechniken sind:
Darstellen des Bewegungsablaufs mit eigenen Mitteln (`Durcharbeiten): Die Lernenden versuchen, den Bewegungsablauf selbst mittels Skizzen etc. darzustellen. Man kann auch die einzelnen Komponenten des Ablaufs auf Kärtchen vorbereiten, die dann von den Lernenden als eine Art Puzzle zusammengesetzt werden müssen.
Einüben von „Abzählversen“ (Ãœben): Kleine, rhythmische Abzählverse (wie etwa das schweizerdeutsche Verslein „inestäche, umeschlo, durezieh und abelo“ beim Stricken) eignen sich sehr gut, um Bewegungsabläufe zu memorieren und dann während dem Einüben auf der sensomotorischen Ebene zu begleiten.
1.2 extensional
Schildern von Analogien: Auf der Ebene des extensionalen Wissens ist es oft möglich, Analogien und Bilder herbeizuziehen, welche die ganze Bewegung oder Teile daraus beschreiben. Eine solche Analogie ist z.B. der „modifizierte Bleistiftgriff“. Diese Analogie greift auf frühere Erfahrungen der Lernenden zurück (Halten eines Bleistifts beim Schreiben), die diese dann als Ausgangspunkt nehmen können, um das neue sensomotorische Programm (Halten des Instruments beim Scaling) abzuleiten.
Interessanterweise ist es aber auch möglich, Analogien herbeizuziehen, die ausserhalb des Erfahrungsbereichs der Lernenden liegen. Volger (1990) berichtet z.B., dass er mit Erfolg seine Schüler bei Squashspielen anweist, sich so hinzustellen „wie ein kampfbereiter Indianer mit erhobenem Tomahawk“. Auch lassen sich Analogien aus dem unbelebten Bereich herbeiziehen. Eine mögliche Analogie für die Bewegung beim Scaling könnte sein. „Die Bewegung erfolgt aus der Schulter. Beweg dich wie eine Marionette, bei der eine Schnur am Ellbogen festgemacht ist und diesen auf und ab bewegt.“ Offenbar ist es möglich, sich in das Bewegungserleben nicht nur von realen anderen Menschen, sondern auch von nur vorgestellten Figuren bzw. sogar von unbelebten Objekten einzufühlen.
1.3 sensomotorisch
Klopfen von Rhythmen: Direkt auf der sensomotorischen Ebene kann der Bewegungsablauf, wie schon geschildert, durch das Klopfen der entsprechenden Rhythmen vorbereitet werden. Idealerweise werden solch rhythmische Übungen mit dem Aufsagen von Abzählversen kombiniert.
Austesten einzelner Bewegungskomponenten: Weiter ist es möglich, als Vorbereitung auf der sensomotorischen Ebene einzelne Bewegungskomponenten auszutesten. Um zu illustrieren, was es bedeutet, mit einer Bewegung des ganzen Armes aus der Schulter heraus zu arbeiten, kann man einerseits einmal die gewünschte Bewegung übertrieben ausführen lassen und sie andererseits mit anderen, möglich Bewegungen (Anziehen und Strecken der Finger, Bewegung aus dem ganzen Rumpf) vergleichen.
2. Richten der Aufmerksamkeit
Als zweites geht es darum, die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die zur Bewegungssteuerung relevanten Wahrnehmungsgrössen zu lenken, so dass sie beim Einüben gezielt geeignete Regelkreise aufbauen können.
2.1 `deklarativ
Instruktion von Zielen: Auf der Ebene des `deklarativen Wissens gehört hierher natürlich sicher einmal die Instruktion des Ziels, das mit der Bewegung verfolgt wird (z.B. „der Zahnstein ist entfernt“). Doch dies ist in den meisten Fällen schnell gesagt und auch unproblematisch zu verstehen.
Richten der Aufmerksamkeit: Mehr zu sagen gibt es zu den Wahrnehmungsgrössen, die in den einzelnen Regelkreisen eine Rolle spielen. Diese ergeben sich – wie gesagt – oft nicht direkt aus den Zielen der Bewegungen, sondern müssen von den Lernenden entdeckt werden (z.B. dass sich der Zahn glatter anfühlt, nachdem der Zahnstein entfernt ist). Natürlich kann die exakte Wahrnehmungsqualität (wie fühlt sich „glatter“ an) nicht über die Instruktion vermittelt werden. Was die Instruktion jedoch sehr wohl kann: Die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die relevanten Merkmale richten.
2.2 extensionale
Schildern von Analogien: Auf der Ebene des extensionalen Wissens können die bereits oben besprochenen Analogien auch zur Beschreibung von Wahrnehmungsqualitäten herbeigezogen werden. Da sie sich eben auf der extensionalen Wissensebene befinden, beinhalten sie wegen ihrer ganzheitlichen Qualität immer auch Wahrnehmungsaspekte. Wer sich einen „kampfbereiten Indianer“ lebhaft vorstellt, spürt sogleich einen bestimmten Muskeltonus, und wer versucht, seinen Arm wie eine Marionette zu bewegen, tut dies möglichst ohne Eigenanstrengung, wie das ja bei einer Marionette der Fall wäre.
2.3 sensomotorisch
Wahrnehmungsübungen: Auf der Ebene des sensomotorischen Wissens selbst können zur Vorbereitung Wahrnehmungsübungen durchgeführt werden. Diese Ãœbungen können mehr oder weniger nahe an der Realsituation sein. Wenn z.B. eine Oberfläche mit und eine Oberfläche ohne „Zahnstein“ zu Verfügung steht, kann man selbstverständlich direkt üben, mit dem Instrument diesen Unterschied wahrzunehmen.
Steht keine solch realitätsnahe Übungsmöglichkeit zur Verfügung, dann ist es trotzdem nützlich, Übungen durchzuführen, bei denen die Lernenden erfahren können, worauf sie überhaupt achten sollen. Um etwa die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass es auf die Rauheit der Oberfläche ankommt und wie sich das beim Drüberfahren mit dem Instrument bemerkbar macht, lässt sich eine kleine Übungsstation einsetzen, an der verschieden raue Oberflächen zu Verfügung stehen, über die die Lernenden mit mehr oder weniger Druck drüberfahren sollen.
3. `Einüben
Nach entsprechender Vorbereitung durch eine gute Instruktion sollten die Lernenden nun in der Lage sein, selbstgesteuert (durch ihre Makroregulation) entsprechende Mikroregulationen aufzubauen.
Bei Bedarf zurück zur Instruktion: Dabei kann sich natürlich herausstellen, dass dies nicht der Fall ist, weil Teile der Instruktion falsch verstanden wurden oder vergessen gegangen sind (z.B., indem Teile eines Bewegungsablaufs ausgelassen oder vertauscht werden). Solche Probleme können nicht durch kurze Bemerkungen während des Einübens behoben werden, sondern machen eine erneute Instruktion notwendig.
Bei Bedarf zuerst Teilaspekte `einüben: Je nach Bewegung und sensomotorischem Vorwissen der Lernenden kann man die Bewegung direkt in ihrer vollständigen Form einüben lassen oder muss man zuerst Aspekte daraus separat trainieren. Was hier bei den verschiedensten Bewegungen möglich und notwendig ist, lehrt die Erfahrung. Allgemeine Regeln lassen sich hier nur schwer angeben.
Rhythmusvorgabe: Grundsätzlich sollte bereits in der Instruktion vorbereitet sein, dass zusammengesetzte Bewegungen rhythmisch ablaufen können (Zerlegung in Teilbewegungen, Abzählverse, klopfen von Rhythmen, s.o.). Ganz zu Beginn kann es aber für die Lernenden schwierig sein, in diese Rhythmen hineinzufinden, weil sie mit Details der Bewegung beschäftigt sind und immer wieder stocken. Hier kann man sie unterstützen, indem man den Rhythmus von aussen vorgibt und sie ermuntert, trotz möglichen „Fehlern“ einfach einmal diesem Rhythmus zu folgen (wie z.B. beim Erlernen des Tastaturschreibens mit einem Metronom als Rhythmusgeber). Da aufgrund anatomischer Gegebenheiten etc. jede Person einen leicht anderen, optimalen Rhythmus hat, wäre es wünschbar, dass diese externe Vorgabe entsprechend eingestellt werden kann.
Externe Aufmerksamkeitssteuerung: Ein grosses Problem beim `Einüben auch nur mässig komplexer Bewegungen ist, dass die Lernenden auf sehr viele Dinge mehr oder weniger gleichzeitig achten sollten. Das können sie nicht. Und es fällt ihnen auch schwer, ihre Aufmerksamkeit der Reihe nach von Punkt zu Punkt zirkulieren zu lassen. In diesem Punkt kann man die Lernenden sehr gut unterstützen, indem man in regelmässigen Abständen die relevanten Punkte aufzählt (also z.B. beim Scaling „Finger, Handgelenk, Schulter, Winkel,….“). Dabei sind zwei Dinge wichtig:
Wenn die Instruktion gut war, wissen die Lernenden sehr gut, was sie mit den „Fingern“, dem „Handgelenk“, etc. tun sollten. Es geht also nicht darum, ihnen das in Erinnerung zu rufen (z.B. „Handgelenk ruhig halten“ etc.), sondern nur darum, ihre Aufmerksamkeit regelmässig auf alle möglichen kritischen Punkte zu richten („Handgelenk“ allein genügt vollauf).
Es geht auch nicht darum, die Lernenden darauf aufmerksam zu machen, dass sie etwas falsch machen. Sie müssen selbst lernen, das zu erkennen. Und wenn die Instruktion gut war, können sie das auch. „Handgelenk“ wird also nicht nur dann erwähnt, wenn dort offensichtlich etwas nicht gut läuft, sondern die einzelnen kritischen Punkte sollten in regelmässiger Abfolge immer wieder alle aufgezählt werden. Richtet dann die Lernende kurz ihre Aufmerksamkeit auf das „Handgelenk“ und merkt, dass dort alles in Ordnung ist, kommt sie so zu einem wichtigen Erfolgserlebnis.
Zusätzliches Feedback: Nützlich ist selbstverständlich während des Lernens jede Art von zusätzlichem sensorischem Feedback. Dies ist nicht zu verwechseln mit Feedback der Art „Falsch!“, „Richtig!“, „Deine Finger sind zu verkrampft!“, etc., denn wie schon gesagt, die Lernenden müssen selbst entsprechende Kontrollmechanismen aufbauen. Aber beim Aufbau dieser Mechanismen können zusätzliche sensorische Informationen, die normalerweise nicht zur Verfügung stehen, hilfreich sein.
Am aufwendigsten sind hier natürlich technische Einrichtungen, die in der Realsituation zusätzliche Daten zur Verfügung stellen. Also etwa eine Curette mit eingebautem Drucksensor, über den sich der tatsächlich ausgeübte Druck am Bildschirm darstellen lässt. Ob sich der entsprechende Aufwand allerdings auszahlt, muss von Fall zu Fall genau abgeklärt werden.
Es lassen sich aber oft schon mit wesentlich weniger Aufwand zusätzliche Rückmeldungen geben. Oft genügt es, die Hand an eine bestimmte Stelle zu legen, um Dinge wahrnehmbar zu machen, die sonst kaum wahrnehmbar sind. Die genaue Position des Schultergelenks z.B. ist nicht direkt wahrnehmbar und oft haben Lernende deshalb auch falsche Vorstellungen darüber, wo sich ihre Gelenke befinden. Legt man hingegen einen Finger auf das Gelenk, wird es wahrnehmbar und es wird auch erkennbar, ob die Bewegung aus dem Schultergelenk oder etwa mit dem ganzen Oberkörper erfolgt.
Etwas indirekter ist die Aufzeichnung der Bewegungen auf Video und anschliessende Besprechung des Aufgenommenen. Damit die Videoaufzeichnung echt als zusätzliches sensorisches Feedback dienen kann, müssen drei Bedingungen erfüllt sein:
- Die Aufzeichnung muss Dinge zeigen, welche die Lernenden so nicht wahrnehmen können. Es bringt also in diesem Zusammenhang wenig, z.B. einfach die Haltung des Instruments aufzunehmen, denn diese können (und sollen) die Lernenden direkt selbst kontrollieren. Aussagekräftiger wäre eine Aufnahme der gesamten Körperhaltung, da diese nur schlecht bewusst wahrgenommen werden kann.
- Die Aufzeichnung sollte kurz sein. Als sensorisches Feedback macht die Videoaufzeichnung nur Sinn, wenn sie sich auf einen Aspekt konzentriert, der dann auch direkt nach dem Betrachten in das weitere Einüben einfliesst.
- Das Betrachten der Aufzeichnung muss kurz nach der Aufnahme erfolgen, da sonst die Erinnerung an die gezeigte Bewegung verschwunden ist.
Neben dieser Rolle der Videoaufzeichnungen als sensorisches Feedback kann sie aber auch eingesetzt werden, um der Lernenden zu zeigen, dass sie grundsätzliche Fehler macht. Sie ist dann Grundlage dafür, die Instruktion neu aufzunehmen. In diesem Fall gelten die drei oben aufgeführten Punkte nicht, d.h. es können auch längere Aufzeichnungen, die Dinge zeigen, welche die Lernende selbst sehen könnte, zum Einsatz gelangen.
4. Literatur
- Steiner, G. (1988). Lernen; 20 Szenarien aus dem Alltag. Bern, Hans Huber.
- Volger, B. (1990). Lehren von Bewegungen. In: Czwalina, C.: Sportwissenschaft und Sportpraxis. Ahrensburg bei Hamburg, Czwalian. 77: 79-105.