Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie

1. Empirismus und Konstruktivismus im Wissenschaftsbetrieb

Die Auswirkungen der beiden im Buch im Kapitel 2 beschrieben Haltungen lassen sich auch im Wissenschaftsbetrieb beobachten. „Empiristen“ blenden die Entstehungsgeschichte ihrer Theorien aus. Da sich jede Hypothese in der Empirie und nur dort bewähren muss, kann grundsätzlich jeder Einfall zu einer überprüfenswerten Hypothese avancieren. Was zu einer Flut belanglosester Publikationen führt, die da und dort gerade in der Psychologie die Fachzeitschriften verstopfen. Analog vervielfältigen sich bei den „Konstruktivisten“ Messverfahren etc.. Dies nicht so sehr in der Protophysik, wo es ja vor allem darum geht, längst etablierte Begriffe zu „realisieren“, um das ganze Gebäude der Physik nachträglich zu fundieren. Viel erfindungsreicher sind auch hier die Psychologen, wo die sogenannten „Operationalisierungen“ ins Kraut schiessen (als Beispiel etwa die vielen Intelligenztests). Dabei handelt es sich erst noch um eine relativ simple Form des Konstruktivismus, da hier die Konstruktion nicht als Approximation an einen idealen Begriff verstanden wird, sondern Begriff und Operationalisierung direkt identisch gesetzt werden (Intelligenz ist, was der Intelligenztest misst).

2. Wissen als „Modell“

Um dieses Instrument zu beschreiben, bietet sich das Bild des Modells an. Ein Modell ist etwas, das etwas anderes zu einem bestimmten Zweck nachbildet.

Etwas präziser formuliert braucht man fünf Bestimmungsstücke um ein Modell genauer zu beschreiben (nach Fertig, 1977):

1. der Prototyp: der Ausschnitt der Wirklichkeit auf den sich das Modell bezieht
2. das Subjekt: die Person, die das Modell aufstellt
3. das System: die „Dinge“ mit Hilfe derer das Modell gebaut wird
4. das Ziel: der vom Subjekt gesetzte Zweck, dem die Modellierung dienen soll
5. der Aspekt: der Punkt, in dem sich Modell und Prototyp ähnlich sind; aus der Umschreibung des Aspekts geht hervor, was am Modell „wörtlich“ zu nehmen ist und was nicht

Interessant an dieser Art, Wissen zu betrachten, sind unter anderem folgende Punkte:

2.1 Baukasten

Um ein Modell zu bauen braucht es einen Baukasten (das Modellsystem). Im Falle der im Buch erwähnten Conceptual Dependencies von Schank sind das die Bedeutungsatome sowie die Mittel, mit denen man mehrere solche Atome zu grösseren Gebilden zusammensetzen kann. Der Baukasten bringt gewisse strukturelle Beschränkungen mit sich, d.h. legt z.T. bereits fest, wie und was das Modell überhaupt modellieren kann. Je nachdem über welche Begriffe, Bilder etc. man verfügt, sind gewisse Dinge vorstellbar und andere eben nicht.

2.2 Ziel

Jedes Modell wird im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel aufgebaut. Hätte man beim Modellieren kein Ziel, so wüsste man nicht, was am Prototypen weggelassen werden kann und was abgebildet werden muss. Im Kontext des `Verstehens z.B. spielt die Frage des Ziels bei der Verarbeitungstiefe eine Rolle. Je nach Ziel wird man die Vorstellung, die man sich macht, mehr oder weniger elaborieren. Und natürlich bestimmt das Ziel mit, welcher Baukasten geeignet ist und wie entschieden werden kann, ob das Modell brauchbar ist. In die Diskussion rund um die Erkenntnistheorie hat Habermas (Habermas, 1968) die Idee des Ziels mit der Formulierung von unterschiedlichen erkenntnisleitenden Interessen eingeführt.

2.3 positive, negative, neutrale Analogie

Bei jedem Modell gibt es Dinge, die nicht „wörtlich“ zu nehmen sind, die nicht wirklich etwas am Prototypen abbilden möchten. Daraus, dass z. B. das Modell einer Ritterburg aus Papier gemacht ist kann und soll man nicht schliessen, dass das Original ebenfalls aus Papier besteht. Man kann bei einem Modell drei verschiedene Arten des Bezugs zum Prototypen unterscheiden:

  • positive Analogien (der Aspekt): Dinge am Modell aus denen man direkt auf gewisse Eigenschaften des Prototypen schliessen kann. Ist z. B. im Modell der Ritterburg der eine Turm höher als der andere, so ist anzunehmen, dass dies im Original auch so ist.
  • neutrale Analogie: Neutrale Analogien sind Dinge am Modell, die zwar keine direkten Bezug zum Prototypen haben, die aber auch nicht die Verwendung des Modells im Sinne des Zieles behindern. Dass die Burg im Modell aus Papier besteht, dürfte ein Beispiel für eine solche neutrale Analogie sein.
  • negative Analogien: Auch negative Analogien sind Dinge am Modell, die nicht wirklich etwas am Prototypen abbilden. Im Gegensatz zu neutralen Analogien, stehen sie aber einer zielgerechten Verwendung des Modells im Wege. Soll das Modell der Burg verwendet werden, um die Ausbreitung eines Feuers zu studieren, dann wäre das verwendete Papier wohl eine negative Analogie.

Sowohl neutrale wie negative Analogien lassen sich meist nicht verhindern. Im Beispiel mit dem Burgmodell muss das Modell aus irgend einem Material gebaut werden, auch wenn die Eigenschaften dieses Materials nicht von Interesse sind. Neutrale Analogien sind meist kein Problem, können aber zu einem werden, wenn sie als positive Analogien missverstanden werden. Negative Analogien sind ganz klar ein Problem, lassen sich aber oft trotzdem innerhalb des gegeben Baukastens nicht verhindern.

3. Der Forschungsprozess als fortschreitende Weiterentwicklung von Modellen

Für den Forschungsprozess ergeben sich daraus, dass immer schon ein „altes“ Modell existiert, ein paar Anregungen (Kaiser, 1980):

3.1 Überprüfen des Modells an der konkreten Störstelle

Eine neue Stufe im Prozess der Weiterentwicklung von Modellen beginnt, wenn ein Modell in einer konkreten Situation dem Modellierungsziel nicht genügt, d.h., wenn es eine konkrete Situation nicht richtig erfasst. Im allgemeinen lässt sich dabei nicht einfach sagen, woran das liegt, es sei denn, das Problem, das diese Störung bietet, ist bereits gelöst. Wird nun eine Änderung des Modells versucht, so kann die Wirksamkeit dieser Änderung nur an und in der Situation überprüft werden, in der die Störung auftrat. Das klingt trivial, bedeutet aber konkret, dass es unsinnig ist, zur Entwicklung und Prüfung des neuen Modells eine Testsituation aufzubauen, die stellvertretend für die konkrete Situation steht, in der das Versagen aufgetreten ist. Denn das Versagen ist ja gerade ein Hinweis darauf, dass man diese Situation nicht richtig erfasst hat, sie also unverstanden ist und es somit auch nicht möglich ist, eine ihr adäquate Modellsituation herzustellen.

3.2 Beziehung altes Modell – neues Modell

Dadurch, dass ein neues Modell geschaffen wird, wird das alte, das ja ausdrücklich als funktionierend vorausgesetzt wird, nicht aufgehoben. D.h., hat das alte Modell vor der Schaffung eines neuen sein Modellierungsziel erreicht, so ist das auch nach der Schaffung des neuen noch der Fall. (Dass eine Störung auftritt, darf nicht so missverstanden werden, dass dadurch plötzlich das alte Modell gänzlich unbrauchbar wird, sondern das heisst nur, dass eine neue Situation eingetreten ist, für die sich dieses Modell nicht eignet. Für alle anderen Situationen, in denen es sich bewährt hat, bleibt das Modell brauchbar.) Damit ist klar, dass das neue Modell nicht einfach unabhängig vom alten sein kann, oder ihm einfach widersprechen kann. Das neue Modell muss das alte Modell (als „Spezialfall“) enthalten.

3.3 Konstruktion durch Vergleiche

Aus dem logischen Zusammenhang von altem und neuem Modell lässt sich eine weitere Methode zur Gewinnung neuer, übergreifender Modelle erarbeiten. Meistens existieren zu einem Prototyp oder zu überlappenden Prototypen verschiedene Modelle mit zum Teil gleichem, zum Teil verschiedenem Modellierungsziel, Modellaspekten etc. Da ein Modell, das den Prototyp modelliert, der all diese verschiedenen Prototypen umfasst, und das den verschiedenen Modellierungszielen etc. gerecht werden will, all diese Modelle enthalten muss, können Ideen für dieses neue Modell aus dem Vergleich und der Kombination der alten gewonnen werden.

4. Literatur

  • Fertig, H. (1977). Modelltheorie der Messung. Berlin, Duncker & Humblot.
  • Habermas, J. (1968). Erkenntnis und Interesse. Frankfurt a. Main, Suhrkamp.
  • Kaiser, H. (1980). Wissenschaftstheoretische und Erkenntnistheoretische Ãœberlegungen im Rahmen der Sozialwissenschaften. 1980, unveröffentlichte Lizentiatsarbeit, Universität Bern.