Figur 1. Das Modell der Gruppe um Sternberg in Originalform
Quelle: Sternberg, R. J., Forsythe, G. B., Hedlund, J., Horvath, J. A., Wagner, R. K., Williams, W. M., et al. (2000). Practical intelligence in everyday life. New York: Cambridge University Press, S. 114
Ziel der Gruppe um Sternberg ist ein Modell, eine Theorie des impliziten Wissens (tacit knowledge). Ihre Hauptannahmen sind, dass sie drei Arten von Wissen/Gedächtnis unterschieden lassen (episodisch, prozedural und semantisch) und dass sie das prozedurale Wissen mit dem impliziten Wissen identifizieren.
In gewissen Punkten ist eine Korrespondenz zwischen ihrem Modell und dem IML leicht herzustellen. „Episodic memory“ und „sematic memory“ entsprechen exakt den zwei Wissensarten „situativ“ und „deklarativ“. Beim episodischen Gedächtnis ist die Entsprechung offensichtlich, da dessen Inhalt die Erinnerung an erlebte Episoden/Situationen ist. Ebenfalls beim semantischen Gedächtnis, welches Fakten und Konzepte aufnimmt.
Beim prozeduralen Gedächtnis ist die Entsprechung weniger direkt. Das Modell nimmt an, dass es sich bei den Inhalten von der Form her um Wenn-Dann-Regeln handelt. Diese können entweder explizit und bewusst zugänglich sein, oder nur implizit (tacit) und damit kaum bewusstseinsfähig vorliegen. Der zweite Fall deckt sich in etwa mit dem prozeduralen Wissen aus dem IML. Beim ersten Fall würde aber im Rahmen des IML von deklarativem Wissen gesprochen. D.h. das „procedural memory“ umfasst beim IML zwei verschiedene Arten, wie Wenn-Dann-Regeln gewusst werden können (vgl. Figur 2).
Die Bezeichnung „memory“ an Stelle von „Wissen“ wie im IML ist kein wirklicher Unterschied. In beiden Fällen wird betont, dass es sich um verschiedene Mengen von Wissen handelt, welche aufgrund des Formats des Wissens gegeneinander abgrenzbar sind. Mit „memory“ wird lediglich mehr die Menge, der Container betont, mit „Wissen“ mehr die Elemente dieser Mengen, der Inhalt.
Die beiden Eingänge ins System (personal experience, received knowledge) entsprechen im IML den Eingängen „Erfahrung“ und „Instruktion“ und so lassen sich auch in beiden Modellen einige Pfade identifizieren, welche zur Deckung gebracht werden können. A entspricht „Erfahrungen Sammeln“, B und C2 korrespondiert mit „Verstehen“ (C2 für ganz spezifische Inhalte) und A2 kann mit „Beschreiben/Abstrahieren“ identifiziert werden. Ebenso entsprechen die drei Ausgänge A,B,C der Annahme im IML, dass Handeln je nachdem sowohl von situativem, wie deklarativem bzw. prozeduralem Wissen geleitet sein kann. C3 schliesslich lässt sich als ganz spezifische Form des „Durcharbeitens“ identifizieren: Abstrahieren allgemeiner Regeln/Gesetzmässigkeiten aus spezifischen Regeln.
Figur 2: Das Modell der Gruppe um Sternberg über das IML gelegt
Ein Analog zum sensomotorischen Wissen des IML findet sich im Modell der Gruppe um Sternberg hingegen nicht. Sensomotorisches Wissen, wie etwa „learned skills, such as driving a car“ (s. 113), wird unter „procedural memory“ eingeschlossen. Diese fehlende Differenzierung könnte einfach darauf zurückzuführen sein, dass sich die Gruppe sehr stark mit dem Thema „Leadership“ bzw. dem dabei wirksamen impliziten Wissen befasst hat und dabei solche skills keine grosse Rolle spielen, zumal doch recht offensichtlich ist, dass sich z.B. ein Fahrrad nicht mit komplexen Wenn-Dann-Regeln im Gleichgewicht halten lässt.
Interessanter sind die Unterschiede zwischen den beiden Modellen bezüglich der verschiedenen vorhandenen Wege. Im Modell der Gruppe um Sternberg weist zwei Wege auf, die so im IML direkt nicht vorgesehen sind:
-  A1: Auf den ersten Blick sieht das IML diesen Übergang von semantic memory/situatives Wissen zum prozeduralen memory/Wissen nicht vor. Es geht davon aus, dass prozedurales Wissen durch Prozeduralisieren von deklarativem Wissen entsteht. Diese Darstellung im IML als direkter Pfeil vom deklarativem zum prozeduralem Wissen ist aber nur eine verkürzte Darstellung. Prozeduralisieren geschieht dadurch, dass aufgrund des vorhandenen (deklarativen) Wissens Aufgaben gelöst werden und dass die dabei gefundenen Lösungswege sich in der Form von Wenn-Dann-Regeln im prozeduralen Wissen niederschlagen. Genau genommen basiert das Prozeduralisieren nicht direkt auf dem deklarativen Wissen, sondern auf den Erfahrungen, welche beim Anwenden dieses Wissens gemacht werden. „Prozeduralisieren“ im IML ist also eine abgekürzte Darstellung für „Handeln aufgrund von deklarativem Wissen“ -> „Erfahrung Sammeln“ -> „Regeln bilden“ (analog wie „Extensionalisieren“ für „Handeln aufgrund von deklarativem Wissen“ -> „Erfahrungen sammeln“ steht). A1 entspricht also dem im IML nicht explizit dargestellten Schritt „Regeln bilden“.
Dies impliziert natürlich auch, dass es, entgegen der Darstellung im IML, möglich ist, prozedurales Wissen aus beliebigen Erfahrungen zu bilden – egal ob sie beim Versuch, entstanden sind, deklaratives Wissen anzuwenden, oder ob sie einen anderen Anlass haben.
- C1: Es existiert im IML auch kein Weg, der direkt von personal experience/Erfahrungen zum prozeduralen memory/Wissen führt. Hier wird im IML angenommen, dass immer zuerst situatives Wissen entsteht, welches dann weiterverarbeitet wird. Dies scheint mir nach wie vor plausibel, denn der Abstraktionsprozess des „Regeln bilden“ kann sinnvoll nur einsetzen, wenn mehrere vergleichbare Erfahrungen vorliegen, was eine „Zwischenspeicherung“ dieser Erfahrungen als situatives/episodisches Wissen voraussetzt.