Die zentralen Begriffe bei Bourdieu

Quelle: Bourdieu, P., & Wacquant, L. J. D. (2006). Reflexive Anthropologie. Franfurt a. M.: Suhrkamp.

Im Denken Bourdieus nehmen drei Begriffe eine mehr oder weniger zentrale Stellung ein, die sich gut mit dem IML hinterlegen lassen:

Habitus: Bourdieu führt den Begriff „Habitus“ ein, um „Praxis in ihrer unscheinbarsten Form zu erklären“ (S. 153). Habitus ist nach seiner Umschreibung ein erworbenes System von generativen Schemata, das an die Bedingungen angepasst ist, unter denen es entstanden ist. Der Habitus ist verkörperte Geschichte. Erfahrungen werden in jedem Organismus als Schemata gespeichert, die Wahrnehmung, Denken und Handeln lenken. „Alle Stimuli und alle konditionierenden Erfahrungen werden in jedem Augenblick über Kategorien wahrgenommen, die bereits von früheren Erfahrungen konstruiert wurden. Daraus ergibt sich ganz unvermeidlich eine Bevorzugung dieser ursprünglichen Erfahrungen und, als Folge davon, eine relative Geschlossenheit des für den Habitus konstitutiven Dispositionssystems.“ (S.168)

Feld: Ein strukturierter sozialer Raum innerhalb dessen sich autonom Regeln, Muster normalen Verhaltens und Formen der Autorität entwickeln können. Die Grenzen eines Feldes sind dadurch definiert, dass man innerhalb eines Feldes sich den entsprechenden Regeln und Autoritäten unterwirft.

Kapital: Alle Ressourcen, die in einem bestimmten sozialen Kontext nützlich sind.

Bourdieu ist Soziologe und damit sind seine Konzepte selbstverständlich viel breiter angelegt, als das, was durch das IML abgedeckt werden soll. Am deutlichsten wird das beim Kapital, wo er zumindest ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital unterscheidet. Man kann das IML aber nutzen, um die Konzepte mit kognitiven Mechanismen zu hinterlegen, woraus sich unter anderem Aussagen über die Veränderbarkeit des Habitus ableiten lassen.

Habitus: Die Einführung des situativen Wissens verfolgt im IML genau dasselbe Ziel wie die Einführung des Habitus bei Bourdieu („Praxis in ihrer unscheinbarsten Form erklären“)! Im IML wären die „Schemata“ von Bourdieu das aktuell aktivierte Paket situativen Wissens (plus die darin verankerten Wissensstücke anderer Art). Damit ist ein Bündel von erinnerten Situationen gemeint, die alle untereinander so eng assoziiert sind, dass sie gemeinsam erinnert werden. So gesehen kann eine Person über mehr als einen Habitus verfügen, wenn ihr situatives Wissen in mehrere solche Pakete zerfällt, die untereinander nur lose verknüpft sind. Je nach Situation, in der sich die Person befindet, wird unter Umständen ein anderes dieser Pakete angesprochen und die Person wechselt von einem Habitus zu einem anderen.

Feld: Im IML erlebt die Person ein Feld als eine Menge von Situationen, die immer denselben Habitus, d.h. dasselbe Paket situativen Wissens ansprechen. Dies ist ein erlernter Zusammenhang. Im Modell der Situierten Kompetenzen ist die Idee des Feldes als die Gesamtheit der typischen Situationen (eines Berufes beispielsweise) präsent.

Kapital: Im IML ist das Kapital, welches der Person hilft mit der aktuellen Situation umzugehen, das aktivierte Paket situativen Wissens plus alle Ressourcen, welche mit diesem Paket verbunden sind. Im Modell der Situierten Kompetenzen ist mit den externen Ressourcen angedacht, dass über dieses „kognitive Kapital“ hinaus weitere Formen von Kapital (bei Bourdieu beispielsweise das ökonomische Kapital) nützlich sein können.

 

Akzeptiert man diese Hinterlegung des Habitus mit dem situativen Wissen aus dem IML, dann ergibt sich, dass der Habitus zwar veränderungsresistent ist, sich aber trotzdem sehr wohl verändern kann. Einmal kann das graduell geschehen, indem ständig neue Erfahrungen dazukommen und damit die Struktur des entsprechenden Paketes von assoziierten Erfahrungen verändern. Es ist aber grundsätzlich auch möglich, dass neue Erfahrungen mit neuen Situationen den Kern zu einem neuen Habitus bilden, also den Kern zu einem neuen Paket formen, das mit dem alten schlecht verbunden ist. Dies könnte unter Umständen geschehen, wenn die Person in ein neues Feld gerät, an das der alte Habitus nicht angepasst ist.

Der Versuch, die Begrifflichkeit Bourdieus mit dem IML zu hinterlegen gibt für die Weiterentwicklung des IML zwei interessante Hinweise. Einmal ist im IML bisher die Menge der Situationen, auf die eine Person in ihrer Lerngeschichte trifft, nicht weiter strukturiert. Es wird einfach Situation um Situation erlebt und als Erfahrung abgelegt. Der Begriff des Feldes macht aber klar, dass diese Menge von Situationen sehr wohl eine Struktur hat und dass sich die Lerngeschichte zweier Personen beispielsweise darin unterscheiden könnte, ob sie nur Situationen mit sehr ähnlichen Anforderungen (gültigen Regeln etc.) erlebt oder ob die erlebten Situationen in dieser Hinsicht breiter streuen. Zum zweiten ist zwar im Modell der Situierten Kompetenzen die Idee von nicht kognitiven Ressourcen angelegt, sie könnte aber konsequenter verfolgt werden, um breite Kategorien von „Kapital“ abzudecken.